Mittelbayerische Zeitung: Stich ins Herz der Demokratie / Der Mordanschlag auf den Bürgermeister von Danzig kam nicht aus heiterem Himmel. Hassreden bereiten in Polen den Boden für Gewalt. Von Ulrich Krökel
(ots) - Ein möglicherweise psychisch kranker Mann
sticht den Bürgermeister von Danzig nieder und tötet ihn: Die
schreckliche Nachricht aus Polen fügt sich auf erschütternde Weise in
eine Zeit der Shitstorms und populistischer Hassreden. Man führe sich
das Bild noch einmal genauer vor Augen. Auf der Bühne steht ein
Politiker, der sich für die Hilfsbereitschaft seiner Mitbürger bei
einer landesweit berühmten Spendengala bedanken will. Es geschieht
dort also das, was in Deutschland gelegentlich als Gutmenschentum
verunglimpft wird. Und dann stürmt ein Mann mit einem Jagdmesser auf
die Bühne und sticht ohne alle Hemmungen auf den Gutmenschen ein.
Politiker hätten ihn foltern lassen, ruft er. Deswegen müsse dieser
eine Politiker nun sterben. Wohlgemerkt: Es ist noch unklar, ob der
Mann in einem Wahn handelte, oder ob er wusste, was er tat. Sicher
ist hingegen, dass sein Hass auf Politiker nicht aus dem Nichts
gekommen sein kann. Das Gegenteil ist der Fall. Verbale Hassattacken
gehören in Polen noch viel stärker zum politischen Alltag als in
vielen anderen westlichen Demokratien. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski
zum Beispiel behauptete, seine Gegner seien von einer "niederen Sorte
Polen", denen der Landesverrat in die Gene eingeschrieben sei. Seinen
ewigen Widersacher Donald Tusk hat Kaczynski indirekt immer wieder
des Mordes an seinem Bruder Lech Kaczynski bezichtigt, der beim
Flugzeugunglück von Smolensk starb. Aber auch die Tusk-Partei PO
bedient sich kaum anderer Mittel. PO-Chef Gregorz Schetyna sagte vor
den Regionalwahlen im Herbst: "Wir müssen diese Wahl gewinnen, um von
dem gesunden Baum unseres Staates die PiS-Heuschrecken
abzuschütteln." Kaum eine Woche vergeht zudem, in der nicht irgendein
Politiker Flüchtlinge als "Parasiten" bezeichnet. Hinzu kommen
endlose Hassdebatten voller Verschwörungstheorien im Internet mit
seinen sogenannten sozialen Netzwerken. Es ist deshalb keineswegs
übertrieben zu behaupten, dass eine Schreckenstat wie der
Messerangriff von Danzig in einem solchen Umfeld eine innere Logik
hat und niemanden wirklich wundern sollte. Das aber heißt auch, dass
die Stiche nicht nur den ebenso beliebten wie engagierten
Bürgermeister der alten Hansestadt ins Herz getroffen haben, sondern
die polnische Demokratie. Dass sich diese Demokratie in einem
fragilen Zustand befindet, ist bekannt. Zum weiteren Umfeld des
Mordversuchs gehört deshalb auch die Tatsache, dass die PiS-Regierung
seit ihrem Wahlsieg 2015 alles daran setzt, die Gewaltenteilung im
Land einzuschränken und ein autoritäres System zu installieren. Sie
begründet dies mit "kranken Strukturen" im Staat und lässt keine
Gelegenheit aus, Träger dieses Staates wie Richter oder Lehrer zu
diffamieren. Wer solchen Wind sät, könnte man sagen, wird am Ende
immer Sturm ernten. Allerdings sei nochmals betont, dass Polen weder
ein Sonderfall noch ein Einzelfall ist. In den USA steht der größte
Hassredner als Präsident an der Staatsspitze. In Frankreich hat sich
im Zuge der Gelbwestenproteste der Tonfall ebenso verschärft, wie
sich die Gewaltbereitschaft erhöht hat. Und auch in Deutschland ist
die Wut in den letzten Jahren bekanntlich enorm gewachsen. Die
Gewaltszenen von Chemnitz im vergangenen Sommer oder der jüngste
Angriff auf den AFD-Politiker Frank Magnitz zeigen das gesamte
Spektrum des Hasses, der von rechts bis links reicht. Lässt sich
gegensteuern? In Deutschland gibt es Versuche, Filterblasen
aufzulösen und den Dialog zu fördern. Der Blick nach Polen zeigt
jedoch, wie schwer das sein kann. Gerade aus der Kompromisssuche am
Runden Tisch von 1989 sind die verfeindeten politischen Lager von
heute erwachsen.
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