Rheinische Post: Kommentar /
Die Gewalttat als politisches Instrument
= VON HENNING RASCHE
(ots) - Im 70. Jahr des Grundgesetzes sei ein Hinweis
auf Artikel 3 gestattet. Er gerät im Geschrei des Alltags in
Vergessenheit; der Glanz der Menschenwürde überstrahlt so manche
Klugheit. Im dritten Absatz befindet sich der Hinweis, dass niemand
wegen seiner Abstammung oder seiner Heimat und Herkunft anders
behandelt werden darf. Das ist keine höfliche Bitte, sondern ein
Befehl. Den Schreihälsen sei dieser Satz zur baldigen Lektüre
empfohlen.
Das Jahr 2019 hat nicht gut begonnen; es startet dort, wo das alte
Jahr endete: mit Unversöhnlichkeit, Streit, Gewalt. Und mit der
politischen Instrumentalisierung dieser Gewalt. Von links und rechts.
In Bottrop und Essen hat in der Silvesternacht ein 50-jähriger
Deutscher mutmaßlich mit seinem Auto Jagd auf Ausländer gemacht und
acht Menschen verletzt. Im bayerischen Amberg haben am Samstag vier
junge Asylbewerber mutmaßlich wahllos Passanten verprügelt und zwölf
Menschen verletzt. Beides ist entsetzlich und zu verurteilen. Warum
nur fällt das so schwer?
Nach der Attacke in Amberg versucht die CSU, die AfD einmal mehr
auf der asylpolitischen Flanke rechts zu überholen. Viele
Unionspolitiker, auch Horst Seehofer, rufen nach schärferen Gesetzen
und schnelleren Abschiebungen. Dass Seehofer dies nach jeder Attacke
durch Asylbewerber tut, legt offen, dass ihm in diesem Bereich
bislang keine wesentlichen Fortschritte gelungen sind. Asyl fällt in
den Geschäftsbereich des Innenministers. Wenn Seehofer effizientere
Abschiebungen will, warum sind sie es nicht? Viele Gesetze reichen
hierfür aus; sie werden nicht hinreichend umgesetzt.
Nach der Gewalttat in Amberg wird ein Strauß an politischen
Forderungen gebunden. Nach der Gewalttat in Bottrop nicht. Das ist
auch nicht nötig. Allerdings wäre es zu begrüßen, wenn der
Bundesinnenminister neben der Asylpolitik auch Rassismus zu einem
viel diskutierten gesellschaftlichen Thema machen würde. Als
Vorkämpfer gegen Fremdenfeindlichkeit trat Seehofer noch nicht
explizit in Erscheinung. Das wäre zur Befriedung der Gesellschaft
aber durchaus hilfreich.
In der Bewertung beider Fälle darf man es sich nicht zu einfach
machen. Die Herkunft der Täter reicht als Erklärung für ihre Gewalt
nicht aus. Es lohnt sich ein differenzierter Blick. Ein psychisch
Kranker kann auch rechtsradikal sein; Rechtsradikalität ist keine
Krankheit. Rechtsradikalität ist auch nicht durch "persönliche
Betroffenheit" (so NRW-Innenminister Herbert Reul) zu erklären.
Selbst wenn der Bottroper Fahrer eine Psychose hatte, ist damit keine
politische Haltung begründet. In beiden Fällen ist aber eines gewiss:
Deutsche Gerichte werden urteilen. Die Justiz sieht alles etwas
nüchterner, das ist heilsam.
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Datum: 03.01.2019 - 20:58 Uhr
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