Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Schmerzlich und teuer" von Daniela Weingärtner zum Brexit
(ots) - Im Falle eines harten Brexit steht die
EU-Kommission in Brüssel vor einem schwierigen Balanceakt: Sie muss
die Folgen für ihre eigenen Bürger so weit wie möglich abfedern und
gleichzeitig deutlich machen, dass ein EU-Austritt, noch dazu ohne
Vertrag, für die Gegenseite ernste Folgen hat. Gelingt das nicht,
werden Theresa Mays Gegner innerhalb und außerhalb des Kabinetts, die
den "Deal" von Anfang an ablehnten, sich die Hände reiben.
EU-feindliche Strömungen in anderen Ländern bekämen weiter Auftrieb.
Großzügig zeigt sich Brüssel überall dort, wo eigene Interessen durch
einen harten Brexit stark beeinträchtigt wären. Schon bei den
Verhandlungen über ein Austrittsabkommen standen die Rechte in
Großbritannien ansässiger EU-Bürger ganz oben auf der
Prioritätenliste. Die dabei erreichten Garantien versucht man nun mit
einem Notfallplan zu retten. Die Mitgliedsstaaten werden
aufgefordert, die auf ihrem Staatsgebiet lebenden Briten nach dem 29.
März 2019 möglichst großzügig und unbürokratisch mit
Aufenthaltstiteln zu versorgen - aber nur dann, wenn die Regierung in
London mit Zugewanderten vom Kontinent ebenso verfährt. Beinhart
zeigt sich die Kommission hingegen beim Thema Frachtverkehr.
Britische Spediteure sollen keine Zulassung im Gebiet der EU
erhalten. Dahinter steckt vermutlich die Überlegung, dass die
britische Regierung diese Unfreundlichkeit nicht mit gleicher Münze
heimzahlen kann, wenn sie verhindern will, dass ihre Staatsbürger
verhungern oder Engpässe bei Autoteilen oder Medikamenten entstehen.
Auch britische Fluggesellschaften, Spediteure und Finanzdienstleister
werden sich auf massive wirtschaftliche Einbußen einstellen müssen.
Für die britischen Verbraucher werden Waren vom Kontinent teurer und
wohl auch knapper. Doch auch die Rest-EU müsste Federn lassen - wenn
auch in anderen Bereichen. Ohne Austrittsvertrag sind die von London
zugesagten und bereits fest eingeplanten zehn Milliarden Euro für
während der Mitgliedschaft eingegangene Verpflichtungen
höchstwahrscheinlich perdu. Die 27 Mitgliedsstaaten müssten ein
gewaltiges Haushaltsloch stopfen. In einer Gemeinschaft mit zunehmend
nationalistischen Strömungen, wo die Bereitschaft zur Solidarität
rapide abnimmt, richten sich alle Beteiligten ohnehin auf harte
Haushaltsverhandlungen für die kommende Planungsperiode bis 2027 ein.
Fehlt der britische Zuschuss, dürften sich die Konflikte verschärfen
und die für kommenden Herbst angepeilte Einigung kaum zu schaffen
sein. Am problematischsten aber ist die weitere Entwicklung an der
irischen Grenze zum britischen Nordirland. Der Austrittsvertrag
enthielt ursprünglich zahlreiche Klauseln, damit dort weder eine neue
Außengrenze noch eine ungesicherte Zone entsteht. Wie aus
Diplomatenkreisen zu hören ist, will die Regierung in Dublin nun aber
auch dann keine Kon-trollen einführen, wenn der freie Warenverkehr am
29. März übergangslos enden sollte. Damit entstünde ein riesiges
Einfallstor für gefälschte Marken, für Lebensmittel und andere
Produkte, die nicht den europäischen Standards entsprechen, aber auch
für illegale Einwanderer. Die EU-Kommission kann das eigentlich nicht
hinnehmen. Andererseits will sie verhindern, dass der zarte
Wirtschaftsaufschwung in Nordirland erstickt wird und der Konflikt
zwischen Protestanten und Katholiken wieder aufflammt. Die Briten
hingegen bringen in Meinungsumfragen regelmäßig zum Ausdruck, dass
drohende Preissteigerungen und Reisebeschränkungen sie deutlich mehr
bekümmern als die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs. Es zeigt sich
einmal mehr, dass der Brexit schmerzlich und teuer wird - für beide
Seiten.
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