BERLINER MORGENPOST: Es ist Zeit, zu handeln / Leitartikel von Jürgen Polzin zur Klimakonferenz
(ots) - Kurzform: Es ist dieses Nicht-Loslassen-Können von
dem Alten, das den Übergang in die neue Zeit so schwer macht. Wo
bleibt der Mut der Politik, klar und deutlich zu sagen, dass der
Schutz des Klimas nun großer Anstrengungen bedarf? Dass es nicht ohne
Kosten und Verzicht für den Einzelnen geht, dass der Umbau der
Volkswirtschaften aber möglich ist? Wo ist die Unterstützung der
Bundesregierung, wenn Bundesumweltministerin Svenja Schulze ein
Klimaschutzgesetz im kommenden Jahr ankündigt und schon jetzt auf
Widerstand einiger Ressorts trifft? Und wo ist eigentlich die
Kanzlerin?
Der vollständige Leitartikel: Es war eine Weltpalaverkonferenz,
die in Kattowitz zu Ende ging. Wieder einmal quälte sich die
Staatengemeinschaft auf den letzten Metern, und wieder verlor sie
sich im Klein-Klein technischer Details. Wieder brachen Gräben
zwischen armen und reichen Ländern auf, die man doch zugeschüttet
wähnte seit dem Wunder von Paris, als die Welt 2015 doch noch
zueinander fand und sich auf einen umfassenden Weltklimavertrag
einigte. Doch nun steht sie, die Betriebsanleitung für den Schutz des
Klimas. Es ist eine neue Ära: Die Staaten dieser Erde können sich
künftig nach einem weitgehend einheitlichen, vergleichbaren und
nachprüfbaren Vorgehen an die Aufgabe machen, die Erderwärmung im
besten Fall auf 1,5 Grad im Vergleich zum Beginn der
Industrialisierung zu beschränken. Das ist die gute Nachricht. Die
schlechte ist, dass die Welt von diesem Ziel momentan meilenweit
entfernt ist: Die Emissionen steigen. Die noch schlechtere Botschaft
von Kattowitz ist, dass sich die Industrieländer trotz dringlicher
Warnung der Klimawissenschaft nicht zu mehr Ehrgeiz durchringen
konnten. Nicht einmal im Ansatz reichen die in Paris freiwillig
abgegebenen Ziele aus. Von Klimagipfel zu Klimagipfel werden die
Schilderungen der Betroffenen eindringlicher. Vertreter der kleinen
Inselstaaten schilderten, wie es ist, wenn jeden Tag das Wasser komme
und man auf UN-Gipfeln darum betteln müsse, Gehör zu finden. Doch je
deutlicher die Notwendigkeit des Handelns wird, umso verzagter
scheint die Politik. Deutschlands Klimapolitik ist ein Armutszeugnis:
zögernd, zaudernd, mutlos. Es ist die Angst der Regierungskoalition
vor Wählern, die den Volksparteien den Rücken zukehren und sich den
politischen Rändern zuwenden. Es ist die Angst vor unliebsamen
Botschaften. Und so zeigt Deutschland bei den Klimaverhandlungen
seine zwei Gesichter. Mit Geld für die Klimafonds und hervorragenden
Diplomaten wie etwa Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth schlug
Deutschland Brücken. Zu Hause aber setzt sich die Bundesregierung für
schwächere Klimaziele in Europa ein. Deutschland, weltweit größter
Nutzer von Braunkohle, schiebt einen Beschluss zum Ausstieg aus der
Kohleverstromung vor sich her, stellt sich aber in Kattowitz in die
Reihen einer Allianz von Staaten, die mehr Ambitionen fordert, um das
1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Dabei ist klar, dass das nur mit einem
Verzicht auf fossilen Energien geht. Es ist dieses
Nicht-Loslassen-Können von dem Alten, das den Übergang in die neue
Zeit so schwer macht. Wo bleibt der Mut der Politik, klar und
deutlich zu sagen, dass der Schutz des Klimas nun großer
Anstrengungen bedarf? Dass es nicht ohne Kosten und Verzicht für den
Einzelnen geht, dass der Umbau der Volkswirtschaften aber möglich
ist? Wo ist die Unterstützung der Bundesregierung, wenn
Bundesumweltministerin Svenja Schulze ein Klimaschutzgesetz im
kommenden Jahr ankündigt und schon jetzt auf Widerstand einiger
Ressorts trifft? Und wo ist eigentlich die Kanzlerin? Greta Thunberg,
die 15 Jahre alte Schülerin aus Schweden, die jeden Freitag für den
Klimaschutz demonstriert, sagte es den Delegierten von fast 200
Staaten ins Gesicht: "Im Jahr 2078 werde ich meinen 75. Geburtstag
feiern. Vielleicht habe ich dann Kinder, die mich nach euch fragen,
warum ihr nichts getan habt, als noch Zeit war, etwas zu tun." Seit
Kattowitz hat die Politik eine Ausrede weniger: Sie hat nun die
Mittel in der Hand, etwas zu tun.
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Datum: 16.12.2018 - 19:53 Uhr
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