Mittelbayerische Zeitung: Noch einmalüberlebt. Theresa May übersteht den Putschversuch ihrer Parteifreunde. Die Premierministerin geht als lahme Ente in den letzten Akt des Brexit-Dramas. Von Jochen Wittmann
(ots) - Europa ist der ewige Spaltpilz der britischen
Konservativen. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert kommt die
Partei deswegen nicht zur Ruhe. Der Streit um die Mitgliedschaft in
der EU hat die Regentschaft von Premier John Major zerstört und die
seines Amtskollegen David Cameron. Es hat Parteivorsitzenden wie
William Hague und Iain Duncan Smith das Leben schwergemacht und tiefe
Gräben in der Fraktion aufgeworfen. Jetzt sind es die Leute von der
"European Research Group" innerhalb der Regierungsfraktion, die einen
Putschversuch gewagt haben und die Parteivorsitzende Theresa May
stürzen wollten. Gelungen ist es ihnen nicht. Aber das heißt noch
lange nicht, dass sie jetzt Ruhe geben. Beim Thema Europa scheinen
manche Torys alles Maß zu verlieren. Einigkeit der Partei, das
nationale Interesse oder die Pflicht einer Regierungsverantwortung -
all das ist für sie nachrangig. Die Leute von der ERG, es lässt sich
nicht anders sagen, sind zu einem guten Teil Fanatiker. Wer hätte das
von britischen Konservativen gedacht, die doch vor allen anderen
Dingen für ihren Realitätssinn und Pragmatismus bekannt sind. So oft
wurde schon ihr Untergang prophezeit, aber Theresa May darf als die
Stehauffrau des Königreichs gelten. Sie wurde als Auslaufmodell
abgeschrieben und ist als "Zombie-Premierministerin" bezeichnet
worden. Wie falsch man bisher lag. Dabei ist sie eine
Überlebenskünstlerin. Wenn sie eines nicht macht, dann ist es:
aufgeben. Geholfen hat ihr bisher sicherlich, dass es im Grunde keine
Alternative zu ihr gibt - keiner ihrer Kollegen will sich wirklich
ihren Brexit-Job zumuten. Theresa Mays schiere Zähigkeit, ihr
Durchhaltevermögen, ja ihre Sturheit haben ihr bei den Briten in den
letzten Wochen viel Sympathien eingetragen. Wer trotz aller
Anfeindungen und Rückschläge derart unbeirrt und hartnäckig am Kurs
festhält, darf auf Respekt, wenn nicht gar auf Wohlwollen bei den
Wählern hoffen. Dass sie jetzt diesen Putsch überlebt hat, kann aber
nicht Entwarnung bedeuten. Sie ist angeschlagen. Die Schlagzeile des
"Daily Mirror" vom Donnerstag drückte es wohl am hübschesten aus:
"Lahme Ente zu Weihnachten". Sie gewann zwar das Misstrauensvotum,
aber 117 Tory-Abgeordnete, das ist mehr als ein Drittel der
Regierungsfraktion, stimmten gegen sie. Und um zu gewinnen, musste
Theresa May versprechen, für die nächsten Wahlen als Vorsitzende
nicht mehr zu Verfügung zu stehen. Das macht sie zur lahmen Ente:
Eine Premierministerin auf Zeit, deren Autorität zwar gerade
bestätigt, aber zugleich entscheidend unterminiert worden ist. Und
ihre Probleme sind ja nicht verschwunden. Der Oppositionsführer
Jeremy Corbyn wartet nur auf den besten Moment, die Vertrauensfrage
im Unterhaus zu stellen. Ihren Brexit-Deal will May bis spätestens
21. Januar zur Abstimmung stellen. Aber es ist beim besten Willen
nicht zu sehen, wie sie dafür eine Mehrheit zusammenbekommen könnte.
Und wenn sie am wichtigsten Gesetzesprojekt ihrer Premierschaft
scheitert, wäre es vielleicht wirklich an der Zeit, an Rücktritt zu
denken. Damit ist in diesem Brexit-Drama der letzte Akt noch lange
nicht abgespielt. Es gilt immer noch: Kein Deal, welcher Couleur auch
immer, kann eine Mehrheit in diesem gespaltenen Parlament finden. Nur
in einem Punkt ist sich eine Mehrheit der Parlamentarier einig: Einen
No-Deal-Brexit, einen völlig ungeregelten Austritt, soll es nicht
geben. Obwohl sich die Stimmung im Land wie auch im Unterhaus immer
mehr in Richtung zweites Referendum und womöglich Rücknahme des
Brexit-Entschlusses dreht, so ist doch nicht zu sehen, wie das in
derPraxis bewerkstelligt werden kann. Und so heißt es nach dem
jüngsten Akt im Brexit-Drama: Der Vorhang zu, doch alle Fragen offen.
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