BERLINER MORGENPOST: Mehr Tempo / Leitartikel von Joachim Fahrun zum Berliner Personennahverkehr
(ots) - Kurzform: Die Koalition muss unbedingt ihren Kurs
ändern und auch U-Bahnlinien verlängern. Die größte künftige
Hightech-Zone samt neuem Stadtteil auf dem Tegeler Flughafengelände
ohne U-Bahn erschließen zu wollen, mutet angesichts der zu
erwartenden Milliardeninvestitionen dort geradezu kleingeistig an.
Jeder Schienenweg, der Schönefeld und den künftigen Flughafen näher
an die Stadt heranbringt, ist hilfreich. Die Politik muss beim
öffentlichen Nahverkehr groß denken, wenn Berlin im Konzert der
Weltmetropolen mithalten möchte. Wenn ein klares Ziel verfolgt wird,
sind die Menschen auch bereit, ein paar Jahre auf neue S- und
U-Bahnwagen, Tramlinien, Radspuren oder Pendlerzüge zu warten. Von
heute auf morgen sind die Engpässe nicht zu beseitigen. Aber mehr
Tempo ist dringend geboten.
Der vollständige Leitartikel: Berlin hat in den Zeiten knapper
Kassen zu lange zu wenig getan, um sich auf die neuen Zeiten
vorzubereiten. Zu wenige Wohnungen gebaut, die Brücken nicht
ordentlich instand gehalten, kaum Mitarbeiter in den Behörden
eingestellt, nicht genügend Schulen saniert. Und es wurde eben auch
versäumt, die Lebensadern der Stadt ausreichend zu verstärken für das
Wachstum, das die Stadt seit fast 15 Jahren erlebt. Die Lebensadern
einer jeden Stadt sind ihre Verkehrslinien. Die Bürger müssen sich
bewegen können, zuverlässig, schnell und einigermaßen preiswert.
Anders kann eine Metropole nicht funktionieren. Lange Zeit spielte
Verkehr in der politischen Debatte eine eher untergeordnete Rolle.
Wirtschaftskrise und hohe Arbeitslosigkeit sorgten für viel Platz auf
den großzügig dimensionierten Straßen. Gratis-Parkplätze fand man
fast überall. Staus bildeten sich in den Nachwende-Jahren allenfalls
dort, wo Ost und West, Stadt und Umland, zunächst nur provisorisch
verbunden worden waren. Der öffentliche Nahverkehr war ohnehin spitze
dank der weisen Voraussicht der Vorväter. Das ganze System wirkte
lange irgendwie überdimensioniert für die stagnierende Bevölkerung.
Deshalb war es auch komfortabel, von selbst eingebrockten
Zusammenbrüchen wie der S-Bahnkrise von 2009 mal abgesehen. Aber die
ruhigen Zeiten sind vorbei. Berlin wächst, immer mehr Menschen
pendeln zwischen Umland und Stadt. Mehr Verkehr, Staus, volle Bahnen,
verspätete Busse: Wer in der Stadt unterwegs ist, spürt die
Veränderung am eigenen Leib. Und trotz der breiten Straßen greift die
Erkenntnis Raum, dass das individuelle Auto nicht die Lösung der
Verkehrsprobleme sein kann. Umzusteuern ist überfällig. Mit dem Segen
einer Mehrheit der Bürger schafft Rot-Rot-Grün mehr Platz für
Radfahrer, ordert für Milliarden von Euro neue Wagen für S- und
U-Bahn, plant neue Tramlinien. Man denkt endlich ernsthaft darüber
nach, die Stadt enger über Schienen mit ihren boomenden
Umlandgemeinden zu verbinden. All das ist lebensnotwendig, wenn die
Region sich weiter positiv entwickeln soll. Das Angebot muss so
attraktiv werden, dass noch mehr Autofahrer als bisher schon ihren
Wagen stehen lassen oder gleich auf ein privates Kraftfahrzeug
verzichten. Das tun bereits heute die allermeisten Berliner. Nur 29
Prozent gaben im Berlin Trend an, überwiegend Auto zu fahren. Die
rot-rot-grüne Koalition muss beim Verkehr richtig Gas oder besser
Strom geben. Spandau braucht dringend Straßenbahnen, um den Bau
Tausender Wohnungen zu ermöglichen. Nach Cottbus oder Falkensee
müssen die Züge viel öfter rollen. Busspuren müssen vom Autoverkehr
frei gehalten werden, gerne mit Absperrungen, wie sie anderswo normal
sind. Dass die BVG ab 2020 deutlich mehr Geld benötigt, sollte
unstrittig sein. Die Koalition muss aber unbedingt ihren Kurs ändern
und auch U-Bahnlinien verlängern. Die größte künftige Hightech-Zone
samt neuem Stadtteil auf dem Tegeler Flughafengelände ohne U-Bahn
erschließen zu wollen, mutet angesichts der zu erwartenden
Milliardeninvestitionen dort geradezu kleingeistig an. Jeder
Schienenweg, der Schönefeld und den künftigen Flughafen näher an die
Stadt heranbringt, ist hilfreich. Die Politik muss beim öffentlichen
Nahverkehr groß denken, wenn Berlin im Konzert der Weltmetropolen
mithalten möchte. Wenn ein klares Ziel verfolgt wird, sind die
Menschen auch bereit, ein paar Jahre auf neue S- und U-Bahnwagen,
Tramlinien, Radspuren oder Pendlerzüge zu warten. Von heute auf
morgen sind die Engpässe nicht zu beseitigen. Aber mehr Tempo ist
dringend geboten.
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Datum: 23.11.2018 - 21:24 Uhr
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