Mittelbayerische Zeitung: Reise ins Ungewisse
Von Christian Kucznierz
(ots) - Sollte Manfred Weber im Sommer 2019 Präsident
der EU-Kommission werden, steht er vor einer fast unlösbaren Aufgabe.
Er muss die Geschicke einer Gemeinschaft lenken, die sich selbst
immer weniger als Gemeinschaft versteht. Europa stand einst für
Sicherheit, Frieden, Stabilität und Wachstum. Nur zwei dieser Punkte
sind heute noch Wirklichkeit: Wachstum und Frieden. Der Kontinent,
der jahrhundertelang durch Konflikt definiert war, ist seit dem Ende
des Zweiten Weltkriegs ein Ort des Friedens. Das ist keineswegs
etwas, das für alle Zeiten so bleiben muss. Denn obwohl es den
Ländern dieses Kontinents wirtschaftlich gut geht, ist Europa heute
instabil geworden. In fast allen Staaten sind populistische und
antieuropäische Parteien stark geworden. Sie speisen ihren Erfolg aus
der Tatsache, dass Europa seinen Bürgern nicht mehr das Gefühl von
Sicherheit gibt, das sie einst hatten. Damit wächst die Angst, dass
auch der wirtschaftliche Wohlstand bedroht und der Frieden in Gefahr
ist. Es spielt dabei keine Rolle, ob diese Furcht real ist oder
nicht. Die Tatsache, dass populistische Parteien leicht an diese
Ängste appellieren können, sagt alles aus über den Zustand Europas.
Es ist falsch, diese reale oder gefühlte Angst auf die
Flüchtlingskrise alleine zurückzuführen. Es wäre aber auch falsch,
sie nicht als Beleg für ein Scheitern der Europäischen Union zu
erkennen. Denn erstens hat dieser Kontinent nicht verhindert, dass an
seinen Grenzen Bürgerkriege wie in Syrien eine ganze Generation von
Menschen heimatlos gemacht und ihrer Zukunft beraubt haben. Die EU
schaut auch bis heute zu, wie die nächste Generation von Flüchtlingen
in den Ländern Afrikas der Generation ihrer Eltern folgend bereit
ist, ihr Leben Seelenverkäufern anzuvertrauen, um der
wirtschaftlichen Misere und den Folgen des Klimawandels zu
entfliehen. Diese Fluchtursachen sind von den Industrienationen und
damit auch von den EU-Staaten entweder mit verursacht oder zumindest
nicht in ihrer Konsequenz erkannt und bekämpft worden. Der
Kontrollverlust, den nicht nur Populisten in der massenhaften
Zuwanderung von Flüchtlingen erkannten, war insofern real, als die
Bürger in vielen EU-Staaten die Welt nicht mehr verstanden. Die
verunsicherten Menschen in Europa wurden mit einem dürftigen "Wir
schaffen das" alleingelassen. Bis heute gibt es keine Antworten auf
viele Fragen, keine Solidarität bei der Verteilung der Flüchtlinge,
kein Konzept im Umgang mit Migration, die Europa lange begleiten
wird. Europa und die EU sind in einer Krise der Glaubwürdigkeit. Sie
bietet nur eine verblassende Vision, jedoch keine Lösungen mehr. Das
Perfide daran ist aber, dass die Krisen und Probleme, die Europa
bedrohen, einzig und allein auf europäischer Ebene gelöst werden
können - sofern dieses Europa zusammenhält. Doch das tut es nicht.
Ein Teufelskreis. Manfred Weber hat sich als Aufgabe gesetzt, die
Krisen Europas anzugehen. Die Frage ist, wie ihm das gelingen soll,
wenn eine Angela Merkel, immerhin lange Zeit mächtigste Frau des
Kontinents und eine der wichtigsten Persönlichkeiten der
internationalen Politik, es nicht geschafft hat. Weber steht alleine
schon vor dem Problem, dass das Europaparlament nach seiner Neuwahl
im kommenden Jahr so zersplittert sein könnte, dass selbst die größte
Fraktion, die der EVP, der Weber vorsteht, keine Mehrheit mehr
zustande bringt. Aber selbst wenn er EU-Kommissionspräsident wird:
Mit wem will er seine Pläne umsetzen, wenn Großbritannien nicht mehr
in der EU ist, Deutschland mit einer angeschlagenen Kanzlerin (sofern
sie dann überhaupt noch im Amt ist) regiert, und die Antidemokraten
allerorten stärker werden? Es ist Weber, der sich selbst als
Brückenbauer versteht, zu wünschen, dass ihm der Bau einer Brücke in
die Zukunft der EU gelingt.
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