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Dolmetscher und Übersetzer in der Justiz

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Damit sich bei einem Prozess alle verstehen, muss häufig übersetzt werden. Doch weil das Justizministerium bei den Honoraren spart, gehen den Richtern qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer aus. Wie lässt sich da die Wahrheit finden?


(IINews) - Für Evelyne Ranharter gibt es gute Gerichtsverhandlungen und solche, die beinahe ein Verlustgeschäft sind. Die gute findet an einem Vormittag im Oktober am Bezirksgericht Donaustadt statt, wo sich Wohnungsbesitzer in einem Nachbarschaftskrieg um Betriebskosten streiten. In diesem Zivilprozess übersetzt Ranharter als Gerichtsdolmetscherin für die aus den USA stammenden Kläger und kann einen marktüblichen Tarif verlangen, den die beiden Parteien bezahlen müssen.

Die schlechte Verhandlung läuft anderntags am Straflandesgericht Wien. Es geht um eine versuchte Vergewaltigung. Zwei Stunden dauert die Einvernahme des Opfers, das aus Übersee stammt und deshalb die Dolmetscherin braucht.

Der Job lohnt sich nicht mehr

Doch in öffentlich-rechtlichen Prozessen wie Strafverfahren kommt die Justiz für die Leistung der Übersetzer auf – einer Berufsgruppe, die unter dem Titel "allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetscher" per Bundesgesetz geregelt ist. Das Honorar, das ihnen der Staat zugesteht, ist allerdings so niedrig, dass sich der Job kaum noch lohnt.

Dabei sind gute Übersetzungen für das Justizsystem ebenso wie für jeden Einzelnen, der als Angeklagter, Opfer oder Zeuge mit einem Gericht in Berührung kommt, wichtiger denn je: Bei rund der Hälfte aller Strafverfahren sind mittlerweile Dolmetscher nötig, in Asylsachen freilich noch häufiger. Das Sparen bei den Übersetzergebühren und damit an der Verständigung stellt das Recht auf einen fairen Prozess – ein Menschenrecht – infrage. Die Verfahren ziehen sich in die Länge und stauen sich. Dieser Aspekt wird häufig vernachlässigt, wenn darüber geklagt wird, dass sich die Entscheidungsfindung endlos in die Länge zieht. Es kostet den Staat möglicherweise mehr, als er einzusparen glaubt.

"Für diesen Verdienst geht kein junger, gut ausgebildeter Dolmetscher mehr zum Gericht."
Andrea Bernardini, Präsidentin des Verbandes der Gerichtsdolmetscher




Dolmetscher erhalten 24,50 Euro für die ersten 30 Minuten in einer öffentlich-rechtlichen Verhandlung, je 12,40 Euro für alle folgenden halben Stunden. Davon fallen für die Freiberufler Sozialversicherungsabgaben und Steuern an: "Für diesen Verdienst geht kein junger, gut ausgebildeter Dolmetscher mehr zum Gericht", sagt Andrea Bernardini, Präsidentin des Verbandes der Gerichtsdolmetscher (ÖVGD).

Die Zahlen geben ihr recht: Im Jahr 2006 zählte das Innenministerium noch rund 1.400 zertifizierte Gerichtsdolmetscher, mittlerweile sind es nur mehr 780. Es werden wohl bald noch weniger sein, denn viele von ihnen haben das Pensionsalter längst überschritten. Unter 50-Jährige sind eine Minderheit, das Durchschnittsalter der Arabischübersetzer liegt bei 70 Jahren. Für manche Sprachen können Richter kaum qualifizierte Übersetzer finden. Für die afghanischen Sprachen Dari und Paschtu ist in ganz Österreich nur ein Gerichtsdolmetscher gelistet, für Bengalisch und Aserbaidschanisch ebenso, afrikanische Sprachexperten fehlen völlig.

Damit sich Verfahren nicht stauen, müssen Richter Hilfskräfte laden. Eine Praxis mit Nebenwirkung: "Die Erkenntnis, dass etwas falsch übersetzt wurde, gibt es häufig. Gerade in Strafverhandlungen sagt immer wieder jemand: Aber das habe ich doch nie so gesagt", so Rupert Wolff, Präsident der Rechtsanwaltskammer. "Und dann muss eine Einvernahme wiederholt werden."

Im Extremfall wird gleich ein ganzer Prozess neu aufgerollt. Weil der Dolmetscher in einem Grazer Verfahren mit dem Begriff "Widerruf der bedingten Strafnachsicht" nichts anfangen konnte, ließ er diesen Teil bei der Übersetzung des Urteils aus. Später, als der Verurteilte vom fehlenden Passus erfuhr und sich beschwerte, musste der ganze Urteilsspruch für nichtig erklärt werden.

Selbst wer eine Sprache gut beherrscht, findet sich noch lange nicht mit Fachjargons zurecht. Das gilt auch für Muttersprachler: Wer kennt schon den exakten Unterschied zwischen Vorsatz und Absicht oder zwischen Garantie und Gewährleistung? Wer ist, ganz spontan, in Sachen Wegerechtsbestimmung ebenso firm wie bei der korrekten Benennung eines Haarrissbruchs des Jochbeins als Folge einer Körperverletzung?

Laien mit fragwürdigen Sprachkenntnissen müssen als Übersetzer aushelfen

"Wie, Sie haben vor zwei Wochen mit Ihrer Mutter gesprochen?" Die Stimme der Richterin im Verhandlungssaal 17 am Bundesverwaltungsgericht wird schärfer. Denn der junge Asylwerber, der vor ihr sitzt und seinen Abschiebebescheid bekämpft, hat zuvor in allen Einvernahmen behauptet, seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Familie zu haben. Diese soll ebenfalls geflüchtet sein, nachdem sein Bruder getötet worden sei. Lügt er? Hat er sich gerade in einen Widerspruch verwickelt? Einige Minuten geht es hin und her zwischen dem eingeschüchterten Mann, dem Übersetzer und der Richterin. Es stellt sich heraus: Statt "vor zwei Wochen" müsste es "zwei Wochen zuvor" heißen, bezogen auf den Zeitpunkt des Mordes am Bruder.

Viele fallen durch die Prüfung

Das Bundesverwaltungsgericht (BVWG) wurde vor vier Jahren gegründet, zuständig für Beschwerden gegen Verwaltungsentscheidungen. Die Zahl der Verfahren hat sich seitdem mehr als verdoppelt, was vor allem an den Migrationsverhandlungen seit 2015 liegt. Mittlerweile ist das BVWG zu zwei Dritteln mit der Beanstandung von Asylbescheiden beschäftigt, und dabei sind nahezu immer Dolmetscher nötig. Wie alle Gerichte führt das BVWG eine interne Liste an Übersetzern, die Richter für ihre Verhandlungen bestellen können. Doch darunter ist gerade mal ein Fünftel gerichtlich beglaubigt. "Der Bedarf ist leider viel höher als die Zahl der zertifizierten Dolmetscher, die zur Verfügung stehen", sagt Christian Filzwieser, Richter und Kammervorsitzender des BVWG. Man versucht sich also zu behelfen, indem etwa jene Sprachkundigen rekrutiert werden, die UNHCR-Lehrgänge für das Übersetzen in Asylverfahren absolvieren.

Der junge Mann in Saal 17 stammt aus Afghanistan, so wie die Mehrheit jener Asylwerber, die Beschwerde einreichen. Er gibt sich alle Mühe, der Richterin zu zeigen, dass er schon recht gut Deutsch spricht – doch sie bremst ihn ein: Er solle doch bitte auf Fragen erst antworten, wenn der Dolmetscher übersetzt habe, es sei schließlich wichtig, dass er ihre Fragen ganz genau verstehe. Wie gut sein Deutsch sei, werde sie später testen.

Die Polizei braucht mehr Übersetzer als die Justiz

Bald taucht ein zweiter Widerspruch auf: Laut Polizeiprotokoll gab er bei der Erstbefragung an, zwei Schwestern zu haben. Nun faselt er etwas von einer dritten. Was soll das? Es dauert eine ganze Weile, bis der Dolmetscher der Richterin mitteilen kann: Laut dem Mann habe der Übersetzer bei der Polizei nur gefragt, mit welchen Familienmitgliedern er vor seiner Flucht aus Afghanistan gemeinsam im Haus gewohnt habe. Die bereits verheiratete älteste Schwester habe er da nicht aufgezählt.

Der Bedarf an Übersetzern bei der Polizei ist weit höher als bei der Justiz. Geregelte Qualifikationen gibt es dort aber keine. Weil Fachleute fehlen, kommen manchmal mehrsprachige Polizisten zum Einsatz – aber, so die Kritik, auch Laien mit fraglichen Kenntnissen, etwa Taxifahrer oder die Reinigungskraft auf der Polizeidienststelle. Im sogenannten Schlepperprozess, bei dem im Jahr 2014 acht jener Flüchtlinge vor Gericht standen, die zuvor die Wiener Votivkirche besetzt hatten, geriet eine Dolmetscherin selbst unter Betrugsverdacht: Die von der Polizei viel beschäftigte Frau soll sich höhere Honorare verschafft haben, indem sie behauptete, Verhörte seien Analphabeten. In Abhörprotokollen schrieb sie Begriffe wie "Schleppungsunwillige" nieder, während es im entsprechenden Telefonat nur hieß: "Die Leute sind gekommen." Wie sie später eingestand, sei der Text "in Absprache mit den anwesenden Polizisten" formuliert worden.

"Gerade in der Erstvernehmung wäre eine korrekte Dolmetschung beziehungsweise Übersetzung wichtig, denn dieses Protokoll hat später im Verfahren großes Gewicht", sagt ÖVGD-Präsidentin Bernardini. Verteufeln will sie die Hilfsübersetzer auf den Listen der Polizei nicht, "eigentlich würde ich diese Leute gerne für uns gewinnen. Viele von ihnen hätten bereits einige Voraussetzungen und könnten sich mit entsprechender Weiterbildung auch der Zertifizierungsprüfung stellen."

Statt die Honorare für Gerichtsdolmetscher zu erhöhen, wurden sie gekürzt

Doch warum sollten sie sich den Dienst für die Justiz antun? Die Prüfung ist schwierig, viele fallen durch, jeder Antritt kostet 400 Euro. Gefordert sind außerdem zwei Jahre Berufserfahrung für jene, die Translationswissenschaft studiert haben, und fünf Jahre im Falle all jener Sprachen, für die dieses Studium in Österreich nicht angeboten wird.

Seit 2007 wurden die Honorare für ihre Arbeit im Gerichtssaal nicht mehr an die Inflationsrate angepasst – teilweise wurden sie sogar gekürzt: Gab es für die Rückübersetzung eines Protokolls früher 15 Euro pro 1000 Zeichen, gilt seit 2014 eine Pauschale von 20 Euro – auch dann, wenn das Schriftstück 40 Seiten oder länger ist.

"Qualifizierte Dolmetschung ist eine Grundbedingung eines fairen Verfahrens. Es ist auch dem Ministerium bekannt, dass die Gebühren zu niedrig sind und uns qualifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher fehlen", sagt Maria Wittmann-Tiwald, Co-Vorsitzende der Fachgruppe Grundrechte in der Richtervereinigung. Doch an Geld fehlt es in der Justiz an allen Ecken. 11,6 Millionen Euro kosteten die Gerichtsdolmetscher den Staat im vergangenen Jahr, ein Kostenpunkt, der gerne niedrig gehalten wird. Justizminister Josef Moser vertröstete zuletzt auf das Budget 2020/21, um eine Honorarerhöhung berücksichtigen zu können.
Evelyne Ranharter hat nicht allzu große Hoffnung, dass sie in zwei Jahren ein wenig mehr verdienen wird, wenn sie Gerichtsladungen annimmt. Eigentlich, das merkt man der Englischdolmetscherin an, macht sie Jobs wie jenen am Straflandesgericht auch eher deshalb, weil sie die Einblicke in den Gerichtsalltag spannend findet. Doch von ein paar Justizliebhabern allein lässt sich weder der Rechtsstaat aufrecht erhalten noch ein effizientes Justizsystem.

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Bild: © Thought Catalog/unsplash.com

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Bereitgestellt von Benutzer: Russischdolmetscher
Datum: 31.10.2018 - 12:20 Uhr
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