Geflüchtete mit traumatischen Erlebnissen berichten häufiger über gesundheitliche Probleme
(ots) - Mehr als drei Viertel aller Geflüchteten aus den
Herkunftsländern Syrien, Irak und Afghanistan haben unterschiedliche
Formen von Gewalt erlebt und sind dadurch oft mehrfach traumatisiert.
Das Ergebnis einer Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK
(WIdO) zeigt, dass dies einen gravierenden Einfluss auf ihre
Gesundheit hat: Im Vergleich zu Geflüchteten ohne Gewalterfahrungen
gibt diese Gruppe mehr als doppelt so häufig physische und psychische
Beschwerden an. Aber auch im Vergleich zur deutschen Wohnbevölkerung
schätzen Geflüchtete mit traumatisierenden Erfahrungen ihren
Gesundheitszustand subjektiv deutlich schlechter ein. "Geflüchtete
müssen bei der Aufarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse angemessen
unterstützt werden. Hier könnten auf Traumabehandlung spezialisierte
Einrichtungen sowie Therapeuten helfen", so Helmut Schröder,
Stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts
der AOK (WIdO) und Mitautor der Studie.
Über die gesundheitliche Situation von Geflüchteten in Deutschland
liegen bisher nur unzureichende Erkenntnisse vor. Doch für eine
gelingende Integration in die deutsche Gesellschaft - angefangen bei
Kindergarten, Schule und Arbeitswelt bis hin zu Kultur, Medien oder
Sport - ist auch eine gute Gesundheitsversorgung wichtig. "Das
Wissenschaftliche Institut der AOK möchte mit der vorliegenden
Untersuchung dazu beitragen, die aktuelle gesundheitliche Lage der
Geflüchteten besser zu verstehen", so Klaus Zok, Befragungsexperte im
WIdO und Mitautor der Studie. Daher hat das Institut bundesweit 2.021
Geflüchtete aus Syrien, dem Irak und Afghanistan befragt. Aus diesen
Ländern stammten mehr als die Hälfte aller Erstasylanträge zwischen
Januar 2015 und Mai 2018. Alle Befragten waren mindestens 18 Jahre
alt, erst bis zu zwei Jahre in Deutschland und lebten noch in
Aufnahmeeinrichtungen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Geflüchteten aus den befragten
Herkunftsländern eher jung sind (Durchschnittsalter: 32,7 Jahre) und
überwiegend männlich (Anteil der Männer: 67,1 Prozent). Knapp die
Hälfte der Befragten ist in ihrem Herkunftsland mehr als neun Jahre
zur Schule gegangen, was der Pflichtschulzeit dieser Länder
entspricht. Etwas mehr als die Hälfte (57,4 Prozent) ist im
Herkunftsland einer bezahlten Beschäftigung nachgegangen, jeder
Sechste ging zur Schule oder hat studiert (16,3 Prozent).
Schlechte Bewertung des eigenen Gesundheitszustands
Beim Gesundheitszustand zeigt sich, dass die Geflüchteten seltener
als die vergleichbare deutsche erwachsene Wohnbevölkerung chronisch
erkrankt sind. Gleichzeitig schätzen sie ihren eigenen
Gesundheitszustand jedoch subjektiv deutlich schlechter ein als die
Vergleichsgruppen. "Auch wenn nur vergleichsweise jüngere, gesunde
Menschen die Belastungen einer langen Flucht auf sich genommen haben,
drückt sich ihre spezifische Situation in Deutschland auch in der
individuellen Einschätzung ihrer Gesundheit aus", sagt Schröder. So
könnten Ängste und Sorgen angesichts der Situation in der Heimat,
räumliche Enge, belastende Lautstärke und mangelnde Privatsphäre in
den Erstaufnahmeeinrichtungen, der Alltag in den
Flüchtlingsunterkünften, der oft von Langeweile geprägt ist, oder die
Unwissenheit über die eigene Zukunftsperspektive die subjektive
Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands negativ beeinflussen.
Traumatische Erlebnisse fördern gesundheitliche Beschwerden
Die meisten Schutzsuchenden aus Syrien, dem Irak und Afghanistan,
die Angaben zu traumatischen Ereignissen gemacht haben, geben
Kriegserlebnisse (60,4 Prozent) oder Angriffe durch Militär oder
Bewaffnete (40,2 Prozent) an. Bei jedem Dritten (34,8 Prozent) sind
Angehörige oder nahestehende Personen verschleppt worden,
verschwunden oder gewaltsam ums Leben gekommen (15,4 Prozent). Nur
weniger als ein Viertel (22,5 Prozent) der Befragten hat keine dieser
traumatischen Erfahrungen selbst erlebt. Mehrfachtraumatisierungen
sind dagegen häufig: 16,3 Prozent aller Befragungsteilnehmer geben
nur ein Trauma an, 15,1 Prozent berichten von zwei Traumata und 12,5
Prozent geben drei Traumata an. 30,7 Prozent berichten über mehr als
drei traumatische Erlebnisse.
Im Vergleich zu Geflüchteten, denen diese Erfahrungen erspart
geblieben sind, berichten Geflüchtete mit traumatischen Erfahrungen
mehr als doppelt so häufig über körperliche und psychische
Beschwerden. Dabei treten vor allem psychische Beschwerden wie
Mutlosigkeit, Traurigkeit, Bedrückung (42,7 Prozent) und Nervosität,
Unruhe (42,9 Prozent) auf. Erst danach folgen körperliche Beschwerden
wie Rückenschmerzen (36,6 Prozent) oder Kopfschmerzen (36,4 Prozent).
Klaus Zok: "Die von einer Mehrzahl der Geflüchteten im Herkunftsland
oder auf der Flucht gemachten Erfahrungen von Krieg und Gewalt haben
einen direkten Einfluss auf die Gesundheit, vor allem auf die
Psyche."
Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung
Das WIdO erfasst mit seiner Befragung auch, wie die Geflüchteten
die medizinische Versorgung in Deutschland erlebt bzw. in Anspruch
genommen haben. So haben zwei Drittel in den letzten sechs Monaten
einen Arzt aufgesucht (68,3 Prozent), überwiegend wegen allgemeiner
Gesundheits- und Vorsorgeuntersuchungen sowie akuter leichter
Erkrankungen. In der Arztpraxis oder im Krankenhaus stellen
sprachliche Barrieren eine große Herausforderung dar: Mehr als jeder
zweite Geflüchtete (56 Prozent) berichtet über große Schwierigkeiten,
sich verständlich zu machen. Ähnlich hoch (51 Prozent) ist der Anteil
derer, die nicht wissen, welche Gesundheitsangebote ihnen überhaupt
zur Verfügung stehen.
Umfassenden Zugang zu medizinischer Versorgung schaffen
Um den Schutzsuchenden zu helfen, sollten sie aus Sicht der
Studienautoren ab dem ersten Tag in Deutschland einen umfassenden
Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten. Bürokratische und
sprachliche Hemmnisse müssen abgebaut, psychotherapeutische Angebote
in der Traumabehandlung vorgehalten werden. Dabei müssen insbesondere
sprachliche Barrieren mitberücksichtigt werden. Hilfreich könnte es
sein, geflüchtete Ärzte und Psychotherapeuten möglichst gezielt ins
deutsche Gesundheitssystem einzugliedern. Ihre Hilfe ist für
geflüchtete Patienten möglicherweise besonders akzeptabel, da sie aus
den gleichen Sprachräumen und Kulturkreisen kommen.
"Neben einem sicheren Aufenthaltsstatus, einer passenden
Unterkunft, sinngebender Beschäftigung und Freizeitangeboten kann
Geflüchteten ein niedrigschwelliger Zugang zum Gesundheitssystem
helfen, ihre gesundheitlichen Probleme besser zu bewältigen," so das
Fazit von Helmut Schröder.
Hinweis an die Redaktionen Die aktuelle Studie des WIdO mit dem
Titel "Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland - Ergebnisse einer
Befragung von Schutzsuchenden aus Syrien, Irak und Afghanistan" steht
ab sofort online zur Verfügung unter www.wido.de.
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Datum: 30.10.2018 - 10:15 Uhr
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