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Westfalenpost: Merkels Abschied als große Chance

ID: 1665199


(ots) - Angela Merkel möchte nicht mehr
CDU-Parteivorsitzende sein. Eine große Überraschung ist das nicht.
Nach dramatischen Verlusten bei den vergangenen Landtagswahlen stand
die gestern verkündete Entscheidung längst im Raum. Das
Hessen-Ergebnis mit einem Minus von rund zehn Prozentpunkten für die
Christdemokraten machte überdeutlich, dass die Kanzlerin keinen Tag
länger warten konnte. Willkommen auf der schiefen Ebene. Dass Merkel
als Kanzlerin für die neue Legislaturperiode ab 2021 nicht mehr zur
Verfügung steht, ist derweil keine Nachricht. Etwas anderes hatte sie
nie vor. Die große Frage ist aber, ob sie dieses Zieldatum überhaupt
erreicht.

Das nämlich hängt davon ab, ob die Große Koalition, die seit
längerem aus dem letzten Loch pfeift, überhaupt noch in einen
Arbeitsrhythmus finden kann. Zudem kommt es darauf an, wer beim
Parteitag im Dezember in Hamburg nach 18 Jahren Kontinuität als
Nachfolger oder Nachfolgerin an die Spitze der CDU rückt. Denn wer
eine Regierungspartei führt, erhebt automatisch auch den Anspruch auf
die Kanzlerschaft. Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dass ein
arbeitsteiliges Modell - wenn überhaupt - nur in einem Tandem mit
Annegret Kramp-Karrenbauer denkbar ist. Schon lange war klar, warum
Angela Merkel die saarländische Ministerpräsidentin Anfang dieses
Jahres als neue Generalsekretärin etablierte. Doch möglicherweise ist
das alles Makulatur. Denn erstens grenzt sich "AKK" angesichts der
erodierenden Akzeptanz der Kanzlerin bereits ab. Zweitens verhindert
das Auftauchen des Namens Friedrich Merz in diesem Zusammenhang einen
lautlosen Übergang an der CDU-Parteispitze. Der exzellente Finanz-
und Ordnungspolitiker aus dem Sauerland war von 2000 bis 2002 Chef
der Bundestagsfraktion und ausgewiesener Merkel-Kritiker. Er dürfte
nicht nur eine Rechnung aus früheren Tagen zu begleichen, sondern




durchaus auch Chancen haben. Schließlich könnte Merz nach fast zehn
Jahren Abwesenheit aus der Tagespolitik wieder frischen Wind in seine
Partei bringen. Gesundheitsminister Jens Spahn, ausgestattet mit den
Attributen "jung und konservativ", stünde als Parteivorsitzender zwar
für einen neuen Kurs - der Kanzlerin würde er das Leben allerdings
nicht leichter machen. Wer in der Union Merkel nicht mehr möchte,
steht zu ihm.

Angela Merkel jedoch hat verstanden. Anders als Innenminister
Horst Seehofer (CSU) klebt sie nicht an ihren Posten, sondern handelt
selbstbestimmt. Die kühle Nüchternheit, mit der sie lange Jahre die
Karrieren anderer förderte oder beendete, gilt nun auch für sie
selbst. Sie hat vor einiger Zeit erkannt, dass ihr Kraft und
Kreativität fehlen, um den Trend bei den Wählern und auch in der CDU
noch einmal zu drehen. Während der globalen Finanzkrise stabilisierte
ihre Ruhe Deutschland und große Teile der Welt. Für die
Herausforderungen der Flüchtlingskrise und den Aufstieg der AfD
reichte dieses Politikverständnis nicht mehr aus. Auf die destruktive
Energie kann Defensive nicht die richtige Antwort sein. Merkel aber
vermag etwas anderes nicht mehr zu leisten und hat deshalb die letzte
Phase ihrer politischen Karriere eingeleitet. Das verdient Respekt.
Die Menschen wünschen sich nun mehr Leidenschaft und Orientierung.
Diese Hoffnung müssen andere erfüllen.



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Datum: 29.10.2018 - 21:05 Uhr
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