Medientage München - Journalism Summit:
Political Correctness - oder wie liberal ist unsere Meinungsdemokratie wirklich? /
Die Freiheit der Narren? - Verwaist unsere demokratische Kultur? (FOTO)
(ots) -
Einen sachlichen Gegenpol zu aufgeheizten Debatten zu setzen, mehr
die Lebenswirklichkeit der Menschen zu reflektieren und Ereignisse
beziehungsweise die Geschichten dahinter zu erklären: Das sind die
Aufgaben, denen sich Journalisten heute verstärkt stellen müssten.
Zum Abschluss der MEDIENTAGE MÜNCHEN appellierten die Teilnehmer des
Journalism Summit mit Nachdruck an sich selbst und ihre Kollegen,
sich nicht von aufgeheizten Debatten treiben zu lassen und verengten
Sichtweisen Vielschichtigkeit entgegenzusetzen. Der Journalism Summit
wurde in diesem Jahr von der NDR-Journalistin Anja Reschke moderiert.
Jeder Narr und Propagandist könne heute einen eigenen
YouTube-Channel gründen und Follower sammeln. Bedeutet
Meinungsfreiheit wirklich die Freiheit von drei Millionen
Internetnutzern, "jeden Mist ins Netz zu knallen"? So einfach wollte
es sich der stellvertretende ORF-Chefredakteur Dr. Armin Wolf nicht
machen, auch wenn er die Debatte über Political Correctness als
übertrieben bezeichnete. Er kritisierte in seinem Impulsvortrag, dass
sich die Milieus, in denen Journalisten leben, zunehmend von der
Lebenswelt ihres Publikums entfernen. Wolf bedauerte, dass sich viele
Medien letztlich nicht mehr kontroversen Debatten stellen würden -
anders als die Wochenzeitung Die Zeit im Juli dieses Jahres, nachdem
eine Gegenüberstellung von Pro und Contra zur privaten Seenotrettung
von Flüchtlingen heftige öffentliche Kontroversen ausgelöst hatte.
Wolf lobte diesen Versuch und merkte an: "Demokratischer Diskurs ist
kein Safe Space." Meinungsfreiheit bedeute ganz klar, sich auch mit
anderen Meinungen zu befassen. Allerdings sehe er auch das Problem,
dass öffentliche Debatten häufig jeden Anstand vermissen lassen,
rassistische Begriffe nicht mehr hinterfragt würden und ein Teil des
Publikums sich in eine Filterblase begeben habe, an der sachliche
Argumente schlichtweg abprallten.
Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur von Die Zeit, wehrte
sich gegen eine "Übermoralisierung" der Debatte über den
angesprochenen Artikel, räumte aber Mängel in der inhaltlichen
Gestaltung des Titels und der Contra-Position zur privaten
Seenotrettung ein. Klaus Brinkbäumer, Der Spiegel, sieht kein Problem
darin, heftige Debatten zu führen, warnte aber davor, leichtfertig
mit Sprache zu provozieren. Akte der sprachlichen Verrohung hat
Isabel Schayani, als sie von den Ausschreitungen in Chemnitz im
September 2018 direkt vor Ort berichtete, selbst erleben müssen. Die
TV-Journalistin des Westdeutschen Rundfunks sagte, sie habe für sich
die Konsequenz gezogen, "sprachlich abzurüsten", Zweifel zuzulassen
und nicht mehr "darauf gebürstet" zu sein, eindeutig zu sein.
Dass Journalisten kontroverse Themenaspekte wie negative
Nachrichten über Flüchtlinge ausblenden würden, um rassistischer
Hetze keine Nahrung zu geben, verneinten die Teilnehmer des
Journalism Summit. Ganz im Gegenteil: Ulrich argumentierte,
Fehlentscheidungen entstünden oft dadurch, dass Journalisten Angst
hätten, nicht alle Aspekte aufzuarbeiten und dominante Themen andere,
nicht minder wichtige wie beispielsweise das Bienensterben,
überlagerten. Klaus Brinkbäumer hielt es für legitim, wenn sich
Journalisten aufgrund einer unklaren sachlichen Untermauerung von
Informationen entscheiden, Themen in diesem Augenblick noch nicht in
die Berichterstattung aufzunehmen. Mittlerweile hätten bereits viele
Redaktionen aus ihren Fehlern gelernt: "Die blinden Flecke der
Berichterstattung an sozialen Brennpunkten" seien mittlerweile
weitgehend geschlossen.
Auch Daniel Drepper verzichtet dann auf ein Thema, wenn es nicht
ausreichend mit Fakten belegt werden kann: Hintergründe zu
recherchieren, objektiv zu bleiben und den Lesern auch die Quellen
von Informationen zu erklären, seien zentrale journalistische Ansätze
seiner Redaktion, betonte der BuzzFeed-Chefredakteur. So will Drepper
auch "alternativen Fakten" und emotionalisierten Debatten begegnen.
Journalistische Haltung resultiere aus einer Achtung von
Menschenrechten. Bewusste Verzerrungen der öffentlichen Diskussion
sollten kritisch fundiert in den jeweiligen Kontext eingeordnet und
bewertet werden, forderte Drepper.
Julia Bönisch, Chefredakteurin von sueddeutsche.de, zog aus der
öffentlichen Kontroverse um die Veröffentlichung einer umstrittenen
Karikatur von Dieter Hanitzsch über den israelischen Premierminister
Netanjahu in der Süddeutschen Zeitung (SZ) und der darauf folgenden
Trennung der SZ von dem Zeichner folgenden Schluss: Journalisten
müssten in einer solch aufgeheizten Situation vor allem bewusst mit
den unterschiedlichen Aspekten eines Themas umgehen. Und:
Journalisten müssten wieder mehr als Erklärer wirken. Um Rezipienten
zu erreichen, die nicht mehr die klassischen Medien nutzen, will Gesa
Mayr, Chefredakteurin des Nachrichtenportals Watson.de, Menschen
gezielt "in ihren Lebenswirklichkeiten abholen". Dazu gehörten
Reportagen über das Leben von Obdachlosen ebenso wie Beiträge über
fehlende Plätze in Kindertagesstätten in Deutschland. Um die junge
Zielgruppe zu erreichen, habe Watson beispielsweise auch per
Instagram über die Ausschreitungen in Chemnitz berichtet. Insgesamt
sehe sie gute Ansätze im deutschen Journalismus, sagte Mayr. Sie
wolle den Austausch mit ihren Kollegen vorantreiben und so der
Entfremdung zwischen Journalisten und Teilen des Publikums
entgegenwirken.
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Medientage München
Anja Kistler
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Datum: 29.10.2018 - 10:41 Uhr
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