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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Landtagswahl in Hessen

ID: 1664748


(ots) - In der Politik ist es genau wie im richtigen
Leben: Wer die Erwartungen nur weit genug herunter schraubt, kann am
Ende auch noch den bescheidensten Resultaten etwas Positives
abgewinnen. Die CSU in Bayern machte es vor 14 Tagen so eindrucksvoll
wie realitätsvergessen vor, nachdem sie doch nicht ganz so schlecht
abgeschnitten hatte, wie es ihr in den düstersten Umfragen
vorhergesagt worden war. Nun legt ihre Schwesterpartei nach: Trotz
gewaltiger Verluste ist der politische Totalschaden für die CDU in
Hessen ausgeblieben, und in Berlin war das Aufatmen mindestens so
laut zu hören wie in Wiesbaden.

Ob das auch für die SPD gilt, bleibt abzuwarten. Parteichefin
Andrea Nahles wird ohne Zweifel alles dafür tun, dass es so kommt.
Und auch der hessische Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel dürfte
nach seinem nun schon dritten vergeblichen Anlauf auf die
Staatskanzlei in Wiesbaden wenig Interesse an einem Scherbengericht
haben. Es darf aber bezweifelt werden, dass das die zahlreichen
Gegner der Großen Koalition in den Reihen der Sozialdemokraten davon
abhält, weiter auf die Flucht aus der Bundesregierung hinzuarbeiten.

Für die CDU hält dieses hessische Wahlergebnis nur eine einzige
gute Nachricht bereit: Volker Bouffier hat alle Chancen, weiter
Ministerpräsident zu bleiben. Wenn die Partei eines erfolgreichen und
beliebten Regierungschefs dabei aber mehr als zehn Prozentpunkte
einbüßt, kann es keinen Zweifel daran geben, dass gehörig etwas
schiefgelaufen sein muss. Dass sich der Wählerfrust dabei sehr viel
stärker gegen Berlin als gegen Bouffier richtete, taugt kaum als
Trost. Entsprechend lange Gesichter hat es gestern Abend im
Konrad-Adenauer-Haus gegeben, entsprechend groß dürfte der
Katzenjammer auch heute noch sein.

Immerhin: Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat




nun die Chance, ihren persönlichen Kurs bis zum Hamburger Parteitag
Anfang Dezember weitgehend selbst und ohne ständigen Druck von außen
zu bestimmen. Welche Lehren sie persönlich aus dem dramatischen
Schrumpfkurs »ihrer« CDU in den vergangenen Wochen und Monaten zieht,
wird richtungsweisend für die zukünftigen Chancen der letzten
deutschen Volkspartei sein. Das ist es wohl, was auch ihr Vertrauter
Bouffier im Sinn gehabt haben dürfte, als er das Ergebnis vielsagend
»einen Weckruf für unsere Partei und auch für unsere
Parteivorsitzende« nannte. Die Langzeitfolgen dieses Wahljahres für
das politische System der Bundesrepublik sind so oder so gewaltig.
Während die Grünen im Höhenrausch bleiben, schleppt sich die Große
Koalition in Berlin weiter. Fürs Erste zumindest. Die AfD hat sich
endgültig etabliert. Parlamente mit sechs oder gar sieben Parteien
werden zur Regel - mit allen denkbaren Komplikationen für die
Regierungsbildung.

In Hessen wird die Regierungsbildung ohne Zweifel gelingen - egal,
ob es am Ende doch noch für die bisherige schwarz-grüne Koalition
allein reicht oder ob Bouffier und der große Wahlsieger Tarek
Al-Wazir zusammen mit der FDP ein Jamaika-Bündnis schmieden müssen.
Zwar mag es eine gewisse persönliche Rivalität zwischen Al-Wazir und
dem liberalen Spitzenmann René Rock geben, unüberwindbare Gegensätze
sind nicht in Sicht.

CDU, CSU und SPD haben - voll und ganz selbst verschuldet - ein
wahres Seuchenjahr hinter sich. Der Veränderungsbedarf ist für
Sozialdemokraten wie für die beiden Unionsparteien unübersehbar, und
er ist riesengroß. Die Versuchung, sich die Lage schönzureden, mag
verlockend sein. Sollten Union und SPD ihr jedoch erliegen, dürfte
sich ihre Talfahrt im Wahljahr 2019 nur umso ungebremster fortsetzen.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Scholz Stephan
Telefon: 0521 585-261
st_scholz(at)westfalen-blatt.de

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Datum: 28.10.2018 - 21:30 Uhr
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