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BERLINER MORGENPOST: Erdogans langer Arm / Leitartikel von Miguel Sanches zur Türkei

ID: 1659498


(ots) - Kurzform: Man ahnt, was solche Erfahrungen mit den
Türken in Deutschland, beziehungsweise mit den türkischstämmigen
Deutschen machen. Sie erzeugen Verunsicherung, ein Klima der Angst.
Sie sollten sich künftig zweimal überlegen, was sie posten, twittern
oder sonst wo an die große Glocke hängen - und vor allem, ob sie noch
unbefangen in die Türkei reisen können. In Deutschland sind sie in
Sicherheit, aber gewiss nicht vor Einschüchterung geschützt. Erdogan
behandelt Gegner wie Staatsfeinde und die wie Vogelfreie. Er verliert
jedes Maß. Auch dafür gibt es viele Beispiele, wie der Umgang mit dem
Journalisten Deniz Yücel oder mit dem US-Pastor Andrew Brunson, der
ohne Anklage im Gefängnis sitzt, zeigt.

Der vollständige Leitartikel: Auf die öffentliche Verunglimpfung
eines Staatspräsidenten stehen hohe Strafen, in Deutschland bis zu
fünf Jahre Haft. Daran muss man erinnern, weil in Ankara am
Donnerstag der Prozess gegen einen Mann aus Braunschweig begann, der
Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf Facebook als "Kindermörder"
bezeichnet haben soll. Die Empörung in Deutschland ist groß. Viele
reden über den Fall, als ob der Ehrenschutz ein Willkürparagraf, eine
Marotte Erdogans wäre. Sie machen es sich zu einfach. Auch Politiker
verdienen Respekt, sie sind kein Freiwild und soziale Netzwerke keine
rechtsfreien Räume. Die Anklage gegen den Braunschweiger ist an sich
noch keine Grenzverletzung, und die gestrige Reaktion des Gerichts
war verhältnismäßig. Es setzte den Angeklagten auf freien Fuß, weil
er nicht vorbestraft ist. Eine Besonderheit des deutschen Rechts ist,
dass solche Taten lediglich mit der Ermächtigung des
Bundespräsidenten verfolgt werden. Meist haben die Präsidenten
davon abgesehen, weil sie ihr Amt souverän ausübten und ihre Schmäher
mit Milde und Toleranz beschämten. Das ist ein Reaktionsmuster, das




Erdogan wesensfremd ist. Mit Vorliebe statuiert er Exempel,
unerbittlich und gnadenlos. Es gibt Tausende Beispiele dafür. Der
zweite große Unterschied ist, dass man inzwischen Zweifel haben muss,
ob ein Angeklagter in der Türkei überhaupt noch ein faires Verfahren
bekommt. Es läuft auf eine Umkehr der Beweislast hinaus. Der
Angeklagte muss seine Unschuld beweisen - und nicht umgekehrt die
Staatsanwaltschaft ihm eine Schuld nachweisen. Und so muss jeder, der
das Glück hatte, aus der Untersuchungshaft in der Türkei entlassen zu
werden und nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, sich zweimal
überlegen, ob er das Risiko auf sich nimmt, zur Hauptverhandlung
wieder in das Land zu reisen. Man ahnt, was solche Erfahrungen mit
den Türken in Deutschland, beziehungsweise mit den türkischstämmigen
Deutschen machen. Sie erzeugen Verunsicherung, ein Klima der Angst.
Sie sollten sich künftig zweimal überlegen, was sie posten, twittern
oder sonst wo an die große Glocke hängen - und vor allem, ob sie noch
unbefangen in die Türkei reisen können. In Deutschland sind sie in
Sicherheit, aber gewiss nicht vor Einschüchterung geschützt. Erdogan
behandelt Gegner wie Staatsfeinde und die wie Vogelfreie. Er verliert
jedes Maß. Auch dafür gibt es viele Beispiele, wie der Umgang mit dem
Journalisten Deniz Yücel oder mit dem US-Pastor Andrew Brunson, der
ohne Anklage im Gefängnis sitzt, zeigt. Was die Türkei in diesen
Tagen Saudi-Arabien vorwirft - die Verschleppung oder gar Ermordung
eines Journalisten -, ist übrigens ein Beispiel von Doppelmoral. Ende
Juli hat die Mongolei die Entführung des türkischen Staatsbürgers
Veysel Akçay gerade noch verhindern können, weil sie der Maschine der
türkischen Luftwaffe den Start verweigerte. Der Mann war Leiter einer
Schule, die mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht wird. In
Berlin tritt der türkisch Journalist Can Dündar nur noch unter
Polizeischutz öffentlich auf. Und es klingt nicht tollkühn, sondern
glaubhaft, was in der Hauptstadt die Runde macht, nämlich, dass Autos
gesehen wurden, die denen einer berüchtigten türkischen
Polizeieinheit ähneln. Die Beispiele zeigen erstens eine Strategie
der Einschüchterung und zweitens, dass Verletzungen der Souveränität
anderer Staaten in Kauf genommen werden. Auch da ist die Türkei kein
Einzelfall. Der Rechtsstaat ist leider weltweit eine vom Aussterben
bedroht Spezies.



Pressekontakt:
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Telefon: 030/887277 - 878
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Kommentar Von Kristina Dunz
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Datum: 11.10.2018 - 21:31 Uhr
Sprache: Deutsch
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