Westdeutsche Zeitung: Leitartikel zu Chemnitz: "Wir sind da", von Olaf Kupfer
(ots) - Das Gute zu tun, kann niemals falsch sein. Und
was sollte nicht gut daran sein, wenn sich angesehene deutsche Bands
für ein Konzert bereiterklären, das ein Zeichen sendet in die
Republik und in die Welt: Wir sind da und erheben die Stimme gegen
rechte Hetze. Und wir sind viele, tatsächlich sind wir die Mehrheit.
Das hilft mindestens zur Beruhigung der eigenen Angst. Der Auftritt
in Chemnitz am Montagabend war ein beeindruckendes Signal. Mit der
Stadt und den Problemen allerdings, für die Chemnitz gerade
stellvertretend für viele andere Städte in Ost- und Westdeutschland
steht, hat das nicht allzu viel zu tun. Denn diese Probleme bleiben
vor Ort, an ganz vielen Orten, während die Künstler und deren
Publikum wieder weg sind. Es gehört ja zur Wahrheit zu sagen, dass da
Tausende Menschen aus dem Westen zu einem Event auf den Parkplatz
zwischen Chemnitzer Hauptbahnhof, Marx-Denkmal und Rathaus gekommen
sind, die am Abend wieder heimgefahren sind. Und die von vielen
Menschen im Osten mitsamt manchem Künstler - sanft gesprochen - als
ausgesprochene "Schlaumeier" wahrgenommen werden. Wer verstanden hat,
dass zur Aufarbeitung der Vorfälle von Chemnitz neben dem
unerlässlichen resoluten Einschreiten gegen rechte Spitzen auch die
verstärkte Gesprächsbereitschaft für einen Weg hin zum überfälligen
gesellschaftlichen Konsens notwendig ist, der kann dieses Konzert
auch kritisch sehen. Weil es eben nur den Teil erfüllt, der in
Abwendung besteht. Reinkommen, abkanzeln, abhauen - wäre das die
zentrale Empfindung jener Menschen, die sich offenbar allein gelassen
und längst nicht mehr von Politik und anderen gesellschaftlichen
Kräften vertreten fühlen, dann ist es das falsche Signal - und wird
die Spaltung eher noch verstärken. "Wir sind mehr" ist wichtig, aber
nur ein erstes starkes Signal, das sehr schnell erweitert werden
müsste in ein "Wir sind da". Vor Ort. Bereit, die Probleme ernst zu
nehmen. Auf Augenhöhe.
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Datum: 04.09.2018 - 17:00 Uhr
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