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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Brücken/Genua

ID: 1640074


(ots) - Einsturzgefahr

von Claudia Bockholt

In der Heimat der weltberühmten "German Angst" ist sie
unausweichlich: Kaum stürzt in Italien eine Brücke ein, verfällt
Deutschland in panische Sorge. Wie sicher sind unsere Brücken? Kann
man noch ohne Angst um sein Leben Täler und Flüsse überqueren? Die
gute Nachricht: Ja, man kann. Die so oft kritisierte Regelungswut der
Behörden sorgt für regelmäßige Überprüfung und rechtzeitige Sperrung
von gefährlichen Bauwerken. Die schlechte Nachricht:
Überlebenswichtige, weil zukunftssichernde Investitionen in die
Infrastruktur kommen kaum voran. Gerade verbreitete das Statistische
Bundesamt die erfreuliche Botschaft, dass das Wachstum in Deutschland
überraschend um ein halbes Prozent zugelegt hat. Der Chefvolkswirt
einer deutschen Bank frohlockt, dass das "goldene Jahrzehnt"
dauerhaften Aufschwungs nun tatsächlich vollendet wird. Herrliche
Zeiten und wir mittendrin - umgeben von himmelwärts sprudelnden
Steuerquellen und überquellenden Fördertöpfen. So weit die glänzende
Oberfläche. Doch kratzt man am Lack , zeigt sich bröckelnde Substanz.
Privater Konsum und Staatsausgaben stecken hinter dem Plus. Die
Bundesregierung rechnet damit, dass die Sozialausgaben bis 2021
erstmals über die Billion-Marke klettern werden. Trotz niedriger
Arbeitslosigkeit fließt ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts in
staatliche Fürsorge. Und viele derer, die heute arbeiten, sind trotz
Mindestlohns die Grundsicherungsbezieher von morgen. Der ohnehin
klägliche Anteil der Ausgaben für Verkehrswege indes sinkt seit
Jahren kontinuierlich: Er beträgt mittlerweile weniger als ein halbes
Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Was es für die Wirtschaft vor Ort
bedeutet, wenn das regionale Verkehrsnetz nahezu täglich kollabiert,
zeigt sich zurzeit eindrucksvoll in der Region Regensburg. Erst seit




alle im Dauerstau hängen und die Beschwerden der Pendler immer lauter
werden, hat auch die Politik das Problem in seiner vollen Tragweite
erkannt. Die fetten Jahre, in denen eigentlich genug Geld für
Straßen, Schulen, Stromnetze und digitale Infrastruktur vorhanden
gewesen sein sollte, werden möglicherweise bald vorüber sein.
Deutsche Unternehmen melden in Folge sinkende Auftragseingänge, das
Weltwirtschaftsklima trübt sich stark ein. Nicht wenige
Wirtschaftsexperten fürchten, dass sich der stete Aufschwung seinem
Zenit nähert. Es sieht nicht so aus, als hätten die Regierungen unter
Kanzlerin Merkel die lange Zeit der ökonomischen Prosperität klug
genutzt. Es fehlt an so vielem: zu wenig sozialer Wohnungsbau;
baulich marode und digital unterentwickelte Schulen, zu wenig Lehrer;
keine Antwort auf die Alterung der Gesellschaft, die das Gesundheits-
und Rentensystem enorm belastet. Das Ausgabenvolumen der
Pflegeversicherung ist allein 2017 um 25 Prozent gestiegen. Zwar ist
die Gesamtsumme mit unter 40 Milliarden Euro noch überschaubar, doch
die Summe wird, wie in der Renten- und Krankenversicherung, weiter
wachsen. Die Politik verteilt unverdrossen Geld: Auch im Freistaat
besteht Wahlkampf vor allem darin, Zuschüsse in Aussicht zu stellen:
für Kinder, fürs eigene Häuschen, für ÖPNV, für Tourismus. Eigentlich
sollten unter dieser Gießkanne für jeden Bayern ein paar Tröpfchen
hängenbleiben. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Die Frage ist
allerdings, ob man mit unbequemen Wahrheiten Wahlen gewinnen kann.
Die Bürger fordern zwar immer den ehrlichen Politiker, aber sie
wählen ihn nicht. Also wird weiter an Potemkinschen Dörfern gebaut.
Mit den Staatsfinanzen ist es wie mit den vielen
sanierungsbedürftigen Brücken in Deutschland. Noch kann man unbesorgt
drüberfahren. Doch wenn nichts geschieht, droht irgendwann der
Einsturz.



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Datum: 15.08.2018 - 19:44 Uhr
Sprache: Deutsch
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