Internationale Gedenkfeier am 2. August 2018 in Auschwitz-Birkenau anlässlich des 74. Jahrestages der Mordaktion zur Vernichtung der Sinti und Roma am 2. August 1944
(ots) -
Sperrfrist: 02.08.2018 13:00
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist. Fotomaterial
folgt am 02.08.
Der Zentralrat und das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher
Sinti und Roma nahmen am 2. August 2018 unter der Leitung von Romani
Rose mit einer Delegation von 50 Personen, darunter auch Überlebende
des Holocaust, an dem Internationalen Roma-Gedenktag in
Auschwitz-Birkenau teil. Neben den Überlebenden waren zahlreiche
Vorstände der Landes- und Mitgliedsverbände des Zentralrats Deutscher
Sinti und Roma bei dem Gedenkakt anwesend. Der Gedenktag wird vom
Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in
Kooperation mit dem Verband der Roma in Polen vorbereitet. Viele
Vertreter des diplomatischen Corps, sowie verschiedene internationale
Delegationen waren anwesend.
Für die Überlebenden des Holocaust sprach Rita Prigmore, die als
kleines Kind zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Opfer
medizinischer Versuche der Nazis wurde. Sie selbst überlebte, ihre
ganze Familie wurde ermordet. In ihrer Ansprache appellierte sie als
Überlebende des Holocaust an Politik und Gesellschaft für
Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen: "Wir leben in einer Zeit,
in der Politiker Mauern bauen, um Wählerstimmen zu gewinnen.
Politiker werfen den Menschen, die aus großem Elend zu uns kommen,
vor, den Sozialstaat zu missbrauchen und "Asyl-Tourismus" zu
betreiben.[...] Sie sagen uns, dass unser Leben sicherer wäre, wenn
wir uns von den anderen trennen und dass wir Flüchtlinge
zurückschicken sollten, um unser Glück und unseren Wohlstand zu
sichern. Meiner Meinung nach ist das falsch! Wir müssen uns
menschlich zeigen und ein Europa aufbauen, das ein menschliches Herz
hat!"
Beate Klarsfeld unterstrich die gemeinsame Verfolgung von Sinti
und Roma wie von Juden durch die Nazis, beide Gruppen seien aus den
gleichen rassistischen Gründen und mit den gleichen Methoden verfolgt
und ermordet worden. Für beide Minderheiten gelte aber auch, daß sie
bis heute durch gewaltbereiten Antisemitismus und Antiziganismus
bedroht sind: "Wenn dann auch Repräsentanten wie zum Beispiel der
italienische Innenminister fordern, Sinti und Roma in Italien wieder
gesondert zu erfassen, und wenn er dann bedauert, daß er diejenigen,
die italienische Staatsbürger sind, wie er sagt ''leider behalten
müsse'', dann steht er damit in einer Tradition von Erfassung und
Deportation, die sehr an die Zeit des Faschismus erinnert", so Beate
Klarsfeld.
Dunja Mijatovic, Menschenrechtskommisarin des Europarats, betonte
in ihrer Rede, ein Besuch des staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau,
rufe nicht nur die Pflicht des Erinnerns ins Gedächtnis, sondern
vermittle das Gefühl, im Sinne dieses Erinnerns handeln zu müssen,
"um der gegenwärtigen und den zukünftigen Generationen zu helfen,
sich den Vorurteilen und dem Hass entgegen zu stellen, die den
Holocaust möglich gemacht haben und die so viel Leid über unsere
Mitmenschen gebracht haben, nur weil sie Juden, Roma oder in anderer
Weise als nicht in die monströsen Pläne des Nazi-Regimes passend
angesehen wurden."
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani
Rose, begrüßte insbesondere die große Zahl an jungen Teilnehmern: "Es
freut mich zu sehen, dass über 250 jungen Roma aus zwanzig Ländern
Europas hierher zu dieser Gedenkfeier gekommen sind. Damit setzen sie
ein klares Zeichen für unsere gemeinsamen europäischen Werte. Es ist
wichtig für uns alle, dass alle unsere jungen Leute ihre Geschichte
kennen, um Verantwortung für die Gegenwart übernehmen zu können.
Dies ist vor allen Dingen auch ein klares Signal gegen den zunehmend
gewaltbereiten Antiziganismus und den krankhaften Nationalismus, die
in Europa grassieren." Rose teilte ausdrücklich die Kritik von
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dem Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, an der zunehmenden
Verrohung der Sprache, insbesondere der Hate-Speech im Internet.
"Hier sollen durch gezielte rechtsextreme Provokationen die Grenzen
des Rechtsstaats verschoben und aufgehoben werden. Es ist fatal und
eine zusätzliche Bedrohung unserer Demokratie und unserer Werte, wenn
dann auch noch Politiker aus demokratischen Parteien versuchen, diese
Extremisten rechts zu überholen. Das zerstört unsere christlichen
Werte und unterminiert unseren Rechtsstaat", so Rose.
Die Reden von Beate Klarsfeld, Rita Prigmore und Dunja Mijatovic,
Menschenrechtskommisarin des Europarats, finden Sie unter folgendem
Link: https://bit.ly/2O2K4KZ
Hier finden Sie ab dem 2.8.2018 um ca. 13:00 Uhr auch aktuelles
Bildmaterial der Gedenkfeier.
Zum Hintergrund:
Die Nationalsozialisten verschleppten von März 1943 bis Juli 1944
23.000 Roma und Sinti aus elf Ländern Europas nach Auschwitz. Nahezu
alle fanden dort den Tod. Am 2. August 1944 wurden die im
Lagerabschnitt B II e des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau
verbliebenen 2.900 Sinti und Roma ermordet. Ein vorangegangener
Versuch, 6.000 Roma und Sinti in die Gaskammern zu bringen,
scheiterte am 16. Mai 1944 an dem Widerstand der Häftlinge. In den
darauf folgenden Wochen wurden 3.000 der an dem Aufstand beteiligten
Häftlinge bei Selektionen von SS-Ärzten als "noch arbeitsfähig"
eingestuft und zur Sklavenarbeit in andere Konzentrationslager im
Reichsgebiet verschleppt, nach Buchenwald, Mauthausen, Ravensbrück,
Sachsenhausen und Dachau. Zurück in Auschwitz blieben 2.900 Roma und
Sinti, überwiegend Kinder, deren Mütter und alte Menschen. Die SS
ermordete sie in der Nacht vom 2. auf den 3. August in den Gaskammern
und verbrannte die Leichen in einer Grube neben dem Krematorium V.
Pressekontakt:
Thomas Baumann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Presse-, Öffentlichkeits- und Antirassismusarbeit
Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma
Bremeneckgasse 2
69117 Heidelberg
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