Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zuÖzil: Dummheit und Niedertracht von Bernhard Fleischmann
(ots) - So lange haben wir auf ein Wort von Mesut Özil
zum Foto mit Erdogan gewartet. Doch die damit verbundene Erwartung,
danach möge Ruhe einkehren, erfüllt sich keineswegs. Im Gegenteil.
Jetzt ist erst richtig Feuer am Dach. Mit größtmöglichem Schaden für
alle Beteiligten. Welch ein Debakel. Einer der Verlierer ist Özil
selbst. Er geht sehr nonchalant über die Tatsache hinweg, dass ein
Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan sehr wohl etwas mit
Politik oder Wahlen zu tun hat. Er kann sich nicht nur darauf
beziehen, sich für diese Aufnahme lediglich aus Respekt vor dem
höchsten Amt des Landes seiner Familie zur Verfügung gestellt zu
haben. Er müsste es besser wissen. Sorry, Mesut Özil, so einfach kann
man es sich nicht machen. Er und Ilkay Gündogan haben Erdogan mit
diesem Foto geholfen, das sollte auch weniger politisch denkenden
Menschen klar sein. Ebenso hätten die beiden Spieler ahnen können,
dass die Aktion für Wirbel sorgt und damit auch die ganze
Nationalmannschaft belastet. Diesem Fehler folgten viele weitere. Und
es kommen noch mehr hinzu. Unsäglich reagiert der polterige Uli
Hoeneß. Er bezeichnet Özil als "Alibi-Kicker", der schon seit Jahren
schlecht spiele und längst nichts mehr in der Nationalmannschaft zu
suchen habe. Ja, Özil hat in Russland und nicht nur dort Qualitäten
vermissen lassen, so wie eine ganze Reihe anderer Spieler auch. Aber
ihn pauschal als weit überschätzten Kicker hinzustellen, ist unfair.
Ambivalent mutet Özils Medienschelte an. "Bestimmte deutsche
Zeitungen" hätten mit dem Foto rechte Propaganda betrieben. Solche
Äußerungen sind immer problematisch, weil schwer greifbar. Wer eine
Ahnung davon bekommen will, was der abgetretene Nationalspieler
gemeint haben könnte, dem hilft ein Blick auf die Webseite von
"Bild". Dort stand neben einem Foto mit einem lächelnden Özil zu
lesen: "Gute Laune in Singapur. Erstes Özil-Foto nach dem Rücktritt".
Die gewollte Botschaft dahinter lautet: Er hat sich von den Fesseln
seines ohnehin halbherzigen Deutsch-Seins befreit, jetzt geht es ihm
gut. Welch eine niederträchtige Diffamierung. Sie befeuert den
Hauptvorwurf all der üblen, vielfach rassistischen Kommentare, die
Özil im Laufe der vergangenen Wochen ertragen musste: Er und Kollege
Gündogan wollten gar nicht ernsthaft Deutsche sein. Von wegen
gelungene Integration, die beiden seien im Grunde immer Türken
geblieben, die nur deshalb für die deutsche Nationalmannschaft
spielen, weil sie mehr Erfolg hat als die türkische. Das ist erstens
eine durch nichts zu belegende Unterstellung. Und zweitens geht sie
von der Annahme aus, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln, wollen
sie denn Deutsche (werden) sein, genauso zu (werden) sein hätten wie
die deutsch-Deutschen es sind. Das ist so unrealistisch wie unsinnig.
Selbst aus einem Saarländer wird kein unverwechselbarer Sachse.
Vielfalt ist überall, nur nicht in den Betonköpfen engstirniger
Nationenverherrlicher. Die ganze öffentliche Diskussion ist aus dem
Ruder gelaufen. Die tonale Schärfe, die rassistischen Beleidigungen -
das waren nicht einige wenige Schreihälse. Nein, da haben sich weite
Teile der Bevölkerung weit jenseits der hinnehmbaren Debattenkultur
hinbegeben. So wie es zurzeit zuverlässig immer geschieht, wenn es um
Ausländer, Migration, Flüchtlinge geht. Was haben sich all jene
gedacht, als sie nach der Vorrundenpleite per WhatsApp oder Facebook
ein Özil-Foto mit den Worten "Zufrieden, mein Präsident?" gepostet
haben? Als hätte er absichtlich schlecht gespielt, um Deutschland zu
schaden und dafür Erdogan (was hätte der davon?) zu nutzen. Özil ist
zum Sündenbock geworden, nicht nur im Fußball. Er hat leider eine
dumme Steilvorlage geliefert.
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Datum: 23.07.2018 - 22:25 Uhr
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