Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Integrationsdebatte
(ots) - Es war schon klar, dass die Diskussion um Mesut
Özil kein gutes Ende nehmen würde. Weder für den nun ehemaligen
Nationalspieler noch für die Verantwortlichen auf Seiten des
Deutschen Fußball-Bundes. DFB-Präsident Reinhard Grindel und
Team-Manager Oliver Bierhoff steht womöglich noch bevor, was Özil aus
eigener Kraft, aber nicht aus einer Position der Stärke vollzogen
hat: der unehrenhafte Abgang.
Dass darüber nun eine Rassismus-Debatte in Deutschland entbrannt
ist, zeigt, wie aufgeladen das gesellschaftspolitische Klima in
unserer Republik dieser Tage ist. Offenkundig aber ist Özils Beratern
mit dem selbstverliebten Statement in drei Akten ein Coup gelungen.
Während das nach wie vor unentschuldigte und auch nicht mehr zu
entschuldigende Fehlverhalten ihres Klienten in den Hintergrund zu
rücken scheint, wird darüber gestritten, wie Integration in unserer
Republik überhaupt gelingen kann.
Dabei stellt sich die Frage, ob das Interesse an gelingender
Integration überhaupt groß genug ist oder ob sich nicht erschreckend
weite Teile der so genannten Mehrheitsgesellschaft wie auch
unübersehbar große Teile der - in diesem Fall - türkischstämmigen
Minderheit lieber am Scheitern der Integrationsbemühungen ergötzen
und so ihre wechselseitigen Vorurteile bestätigt sehen. Der Verdacht
liegt angesichts der vielen unerträglichen Hass-Kommentare in den
Netzwerken einerseits wie türkischer Stimmen andererseits nahe.
Bricht sich dieser destruktive Impuls weiter Bahn, dürfte der Schaden
für Land und Leute weitaus größer werden, als es jeder Rücktritt
eines Nationalspielers jemals sein könnte. Nun könnte es sich rächen,
dass der DFB über Jahre hinweg die Nationalmannschaft als
Musterbeispiel gelungener Integration präsentiert und emotional
regelrecht überdehnt hat, ohne offenkundig jemals positiv definiert
zu haben, was Eckpunkte einer solchen Integrationsleistung sind und
unverbrüchlich sein müssen. Denn wäre es anders gewesen, hätten die
Verantwortlichen beizeiten gewusst, was zu tun und was besser zu
lassen ist. Dazu fehlte aber offensichtlich der Kompass oder der Mut
- oder im schlimmsten Fall sogar beides. Was mit Blick auf
DFB-Präsident Grindel, der ja ein politischer Mensch ist und fast 14
Jahre für die CDU im Bundestag saß, doppelt schwer wiegt.
Überhaupt stellt sich die Frage, ob beim DFB nicht allzu gern
sportlicher mit gesellschaftspolitischem Erfolg verwechselt wurde.
Denn so sehr der Profifußball ein globalisiertes Produkt ist, so sehr
sind die Mechanismen, nach denen er funktioniert, an Siegen und
knallhart am Profit orientiert. Das prägt auch die Profis, die zuerst
Unternehmer in eigener Sache sind. Und ein Großteil der Millionen
Kunden, die der Facebook-König Mesut Özil hat, sind nun einmal
Türken.
Überdies: Jeder, der Fußball spielt und diesen Sport liebt, weiß,
dass Erfolg hier allen Bemühungen zum Trotz nicht exakt planbar ist.
Bierhoff jedoch hatte das offenbar vergessen, als er versuchte, die
anschwellende Debatte um die Fotos, die Mesut Özil und Ilkay Gündogan
mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gemacht hatten,
per Anweisung zu beenden. Denn sein Kalkül beruhte ja darauf, dass
Siege bei der WM die Diskussion zum Erliegen bringen würden. Als
diese Siege ausblieben, versuchten er und Grindel jene heuchlerische
Kurswende, die es Özil erst möglich machte, sich als Opfer
darzustellen. Dabei ist er genau das nicht. Nein, Özil ist ein
erwachsener Mann, der für das, was er tut, verantwortlich zu machen
ist. Vor diesem Hintergrund hat er sich mit »seiner«, nur auf
Englisch verfassten Erklärung keinen Gefallen getan: Während man den
29-Jährigen bis dato bloß für naiv halten konnte, kommt man nun kaum
umhin, ihm ein bedenkliches Maß an Dummheit zu attestieren. Und um
mit einer weiteren Legende aufzuräumen: Manuel Neuer oder Thomas
Müller wäre ein Foto mit Erdogan ebenso um die Ohren geflogen. Und
zwar zu Recht - genauso übrigens, wie Lothar Matthäus wegen seiner PR
für Wladimir Putin scharf zu kritisieren ist.
Wie es sich anfühlt, wenn zwei Herzen in einer Brust schlagen,
kann nur derjenige ermessen, der zwei Länder seine Heimat nennt.
Daraus einen Vorwurf zu konstruieren, ist ebenso absurd wie am
Mitsingen der Nationalhymne festzumachen, ob jemand integriert ist.
Wäre es so, hätte es viele Nationalmannschaftskarrieren gar nicht
geben dürfen. Alte Fernsehaufnahmen - nehmen wir nur die
Weltmeisterelf von 1974 - geben da Aufschluss.
Sicher, die Zeiten mögen sich geändert haben. Doch so wenig damals
Anstoß an schweigenden Kickern genommen wurde, so wenig können wir
heute sagen, was das Deutschsein, was unsere Identität und unsere
Gesellschaft ausmacht. So ist es kein Wunder, dass wir noch am besten
zu artikulieren vermögen, wenn gegen unsere Art zu leben verstoßen
wird.
Der Begriff Leitkultur ist zu vergiftet, um ihm eine Renaissance
zu wünschen. Die Debatte in dieser Sache aber werden wir endlich
ernsthaft führen müssen. Und Verfassungspatriotismus ist das
Mindeste, was wir uns dabei gegenseitig abverlangen müssen.
Denn solange wir nicht wissen, wer wir sind und was wir sein
wollen, wird Integration immer Stückwerk bleiben - egal ob auf dem
grünen Rasen, beim Verfassen des längst überfälligen
Einwanderungsgesetzes oder ganz simpel im Alltag auf der Straße, im
Beruf und in der Nachbarschaft.
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Datum: 23.07.2018 - 21:00 Uhr
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