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NRZ: Ein Leben lang einer der Anderen - ein Kommentar von JAN JESSEN

ID: 1633420


(ots) - Es sind unruhige Zeiten, in denen viele Menschen
sich nach Orientierung sehnen. Dazu gehört ein neuer Patriotismus,
eine Art Einkapselung, um sich gegen die Anwürfe einer zunehmend als
bedrohlich wahrgenommenen Welt zu verschließen. Dieser Patriotismus
braucht Symbole, die Fahne, die Hymne, aber auch die Vergewisserung,
wie Deutsch ein Mensch sein muss, um als Deutscher zu gelten. Die
Hürden dazu werden offenbar zunehmend höher, wie der Fall Özil
gezeigt hat. Der Fußballspieler, der nie Integrations-Posterboy sein
wollte, aber dazu vom DFB gedrängt wurde, ist an diesen Hürden
gescheitert. Das ist auch deshalb so bitter, weil es die
Verunsicherung vieler Menschen mit Zuwanderungsgeschichte verstärken
wird. Natürlich: Der Mann hat Fehler gemacht. Das Bild mit Erdogan
hätte nicht entstehen, er hätte nicht so lange schweigen dürfen. Sein
Rücktritt: richtig. Gleichwohl ist es wohl nicht falsch anzunehmen,
dass die Erregung, die Wut, ja der Hass, der sich über Özil ergoss,
sich nicht allein durch seine fatale Zurschaustellung mit dem
türkischen Diktator erklären lässt - immerhin lässt die meisten
Deutschen vergleichsweise kalt, dass ihre Regierung mit eben diesem
Erdogan noch immer eng verbunden ist; erst jüngst hat Berlin
Reisehinweise und Sanktionen entschärft. Der Vorwurf, den Özil erhebt
und der vom DFB mit Vehemenz zurückgewiesen wird, ist der des
Rassismus. Es ist dabei wenig hilfreich, wenn Menschen, die niemals
Opfer rassistischer Anfeindungen wurden, die Deutungshoheit darüber
beanspruchen, was genau Rassismus ist. Situationen, die von
alteingesessenen Deutschen als völlig harmlos eingestuft werden,
können von Deutschen mit Zuwanderungsgeschichte als verletzend
wahrgenommen werden. Wenn nun einem jungen Mann wie Özil
Mimosenhaftigkeit und eine Selbststilisierung zum Opfer vorgeworfen




werden, weil er eine Kampagne gegen ihn beklagt, die er als
rassistisch grundiert empfindet, dann spricht daraus eine gefährliche
Überheblichkeit. Gefährlich deshalb, weil diese Anwürfe die Gräben
zwischen speziell den jungen Menschen türkischer Abstammung und der
Mehrheitsgesellschaft vertiefen. Am Ende bleibt für viele von ihnen
die Erkenntnis, dass es egal ist, wie sehr sie sich bemühen. Sie
bleiben die Anderen, die jenseits der patriotischen Kapsel,
diejenigen, deren Eltern schon in Deutschland geboren wurden und die
dennoch zu hören bekommen: "Du sprichst aber gut Deutsch". Die zwar
dann ein Schulterklopfen ernten, wenn es gut läuft; die aber die
kalte Schulter gezeigt bekommen, wenn sie einen Fehler begehen.



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Datum: 23.07.2018 - 17:57 Uhr
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