Stiftung begrüßt Grundsatzurteil: Eindringen in Ställe ist unter Voraussetzungen legitim
(ots) - Heute hat das Oberlandesgericht Naumburg drei
Tierschützer in dritter Instanz endgültig freigesprochen. Sie hatten
sich Zutritt zu einer Schweinemastanlage in Sandbeiendorf
(Sachsen-Anhalt) verschafft und dort grausame Zustände gefilmt.
Dieses Grundsatzurteil ist wegweisend für den Tierschutz. Das Gericht
sieht den begangenen Hausfriedensbruch als legitimes Mittel an, um
Tierquälerei und Behördenversagen öffentlich zu machen. Die
Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz sowie die Albert Schweitzer
Stiftung für unsere Mitwelt haben die angeklagten Tierschützer der
Organisation Animal Rights Watch (ARIWA) in dem Gerichtsprozess
unterstützt.
Der Vorsitzende Richter lobte die Tierschützer: man müsse ihnen
für ihr mutiges Handeln danken, zumal sie sich voll zur Tat bekannten
und somit das Risiko einer Strafverfolgung in Kauf genommen haben.
Der Hausfriedensbruch der drei Aktivisten sei die Ultima Ratio
gewesen, weil sonst niemand eingeschritten war. Die zuständige
Veterinärbehörde hatte zuvor bei Kontrollen die Zustände in der
Anlage nicht beanstandet. Der Richter kritisierte die Behörde
deutlich: »Hier ist bewusst vertuscht worden.« Denn die Kastenstände
für die Zuchtsauen in der Anlage seien seit Jahren zu klein, »und
nicht plötzlich eingelaufen«. Auch die Spaltenböden seien nicht über
Nacht entstanden.
»Das heutige Grundsatzurteil ist von weitreichender Bedeutung«,
sagt Mahi Klosterhalfen, Geschäftsführer der Albert Schweitzer
Stiftung. »Bislang war nicht abschließend gerichtlich geklärt, in was
für einem juristischen Rahmen sich Tierschützer bewegen, die
unbemerkt Aufnahmen in Ställen anfertigen. Die Zustände in der Anlage
in Sandbeiendorf und das Versagen des Veterinäramts stehen für
etliche Fälle, in denen Tierschützer auf diese Weise die grausamen
Bedingungen in der sogenannten Nutztierhaltung ans Licht bringen.«
Für einen Freispruch reichte dem Oberlandesgericht der
»Rechtfertigende Notstand«, der das Handeln der drei Tierschützer
legitimierte. Die Aktivisten hätten Beweise gesichert und dafür
gesorgt, dass endlich etwas geschieht. Das Urteil sei jedoch nicht
als Freibrief für jeden Hausfriedensbruch zu verstehen. In diesem
Fall lagen jedoch den Tierschützern vorab glaubhafte Hinweise für
Missstände vor, die sich auch bestätigt haben.
In der Revisionsverhandlung folgte das Oberlandesgericht mit
seinem Urteil den beiden vorausgegangenen gerichtlichen Instanzen.
Diese hatten die Angeklagten ebenfalls freigesprochen: Das
Amtsgerichts Haldensleben begründete den Freispruch im September
2016, indem es das Handeln der Tierschützer nach § 34 StGB
»Rechtfertigender Notstand« bewertete, der einen Hausfriedensbruch
erlaube. Diese Einschätzung bekräftigte das Landgericht Magdeburg als
Berufungsinstanz im Oktober 2017. Es hielt den Angeklagten sogar den
noch gewichtigeren Rechtfertigungsgrund der Nothilfe (§ 32 StGB)
zugute und begrüßte deren Handeln ausdrücklich. Gegen beide Urteile
hat sich die Staatsanwaltschaft Magdeburg erfolglos gewehrt und jetzt
letztinstanzlich verloren.
»Jetzt können sich Rechercheteams von Tierschutzorganisationen in
einem juristisch sicheren Rahmen bewegen, wenn ein glaubhafter
Verdacht vorliegt und das zuständige Veterinäramt trotz bekannter
Verstöße nicht eingeschritten ist«, sagt Klosterhalfen. »Dies ist
auch ein überfälliger Weckruf an die Veterinärämter, bei Vergehen
gegen das Tierschutzrecht endlich konsequent einzugreifen.«
Hintergrund
Im Sommer 2013 hatten sich die Tierschützer von ARIWA nachts
Zugang zu einem der größten Schweinezuchtbetriebe Deutschlands mit
über 60.000 Tieren verschafft. Sie nutzten Einwegkleidung und
desinfizierte Kameras, um keine Keime einzutragen. Ziel war es, die
Zustände zu filmen, über die ihnen eine Informantin vorher berichtet
hatte. In den Aufnahmen waren erhebliche Tierquälerei und schwere
tierschutzrechtliche Verstöße zu sehen. ARIWA erstattete daraufhin
Anzeige gegen den Halter der Tiere, die van Gennip Tierzuchtanlagen
GmbH & Co. KG. Einen Großteil der Verstöße bestätigte das
Veterinäramt im anschließenden Ermittlungsverfahren, obwohl es bei
vorangegangenen Kontrollen nichts beanstandet hatte. Gegen den Halter
der Schweine ergingen Zwangsgelder im fünf- und sechsstelligen
Bereich. Das Strafverfahren gegen Verantwortliche der van Gennip GmbH
wegen hundertfachen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz wurde Ende
2015 eingestellt. Die Tierschützer standen dagegen bis heute vor
Gericht.
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