Mittelbayerische Zeitung: "Olympische Spielverderber" / Ein Kommentar der Mittelbayerischen Zeitung zu den Winterspielen
(ots) - Nur zur Erinnerung: Was nun an fernen Gestaden
in Pyeongchang vonstattengeht, hätte sich ebenso gut vor der eigenen
Haustür abspielen können. Wenn nicht jetzt, dann doch in vier Jahren.
Olympische Winterspiele in München 2022 wären ein Selbstläufer
gewesen angesichts der verbliebenen Konkurrenz durch Peking und
Almaty. Aber die Bürgerinnen und Bürger zeigten dem Großereignis per
Votum mehrheitlich die kalte Schulter - genauso wie in Hamburg, das
sich nicht für Sommerspiele 2024 erwärmen mochte. Überhaupt reiht
sich im deutschen Sport ein olympisches Desaster ans andere. Die
Kandidatur Berlins für 2000? Versunken im Chaos und im
Dilettantismus, nah an der Grenze zur Lächerlichkeit. Leipzig 2012?
Eine putzige Schaufensterbewerbung bar jeder Chance auf Realisierung,
geboren in einem Moment intensiver nationaler Nabelschau. Deutschland
hat den Stab über Olympia gebrochen. Zu teuer, zu pompös, zu
betrügerisch: Eine fantastische Idee ist diskreditiert. Längst haben
wir das zähe juristische Ringen als eigentliche Kernsporart
identifiziert, längst gilt die gigantische Leistungsschau der
Leibesertüchtigung als Mekka der pharmazeutischen Manipulation,
längst ist Olympia ein Synonym für Umweltzerstörung und
Verschwendung, geeignet höchstens noch als Spielwiese für
durchgeknallte Potentaten auf der Suche nach Reputation. Alles
irgendwie richtig - und doch nur die halbe Wahrheit. Die Sommerspiele
2024 und 2028 gehen in Paris und Los Angeles über die Bühne, jeweils
freudig begrüßt von der Mehrheit der dortigen Bevölkerung. Auch
Südkorea ist keine Diktatur. Das Internationale Olympische Komitee
(IOC) hat Pyeongchang diese Winterspiele aus blankem wirtschaftlichem
Kalkül und mit festem Blick auf den sagenumwobenen asiatischen Markt
zugeschustert. Die üblichen negativen Begleiterscheinungen mal
ausgeklammert, ergreift das Land diese Chance, baut seine
Infrastruktur aus und mehrt sein Renommee. Das emotionale
i-Tüpfelchen für politische Romantiker ist die vermeintliche
Annäherung von Nord und Süd. Tragik umweht in diesen Tagen den
obersten Olympier. Thomas Bach gilt seinen Landsleuten als
skrupelloser Strippenzieher und hemmungsloser Taktierer auf dem
glatten internationalen Sportparkett. Da mag was dran sein, doch die
Kritiker verkennen, dass der deutsche IOC-Chef den Honoratiorenverein
im Rahmen seiner Möglichkeiten reformieren will. Bachs Agenda 2020
weist den richtigen olympischen Weg - hin zu mehr Nachhaltigkeit und
Bescheidenheit, weg von Gigantismus und Verschwendungssucht. Allein,
Bachs Zeit an der Spitze des IOC ist bemessen. Deutschland lässt
diese Zeit ungenutzt verstreichen. Dabei spricht nichts gegen eine
weiteren Anlauf Münchens. Wo, wenn nicht dort? In der bayerischen
Landeshauptstadt und im Voralpenland ist das Gros der Sportstätten
vorhanden, hier glüht - anders als in Pyeongchang oder Peking - echte
Wintersportbegeisterung. Wenn die Deutschen schon so felsenfest
überzeugt sind, dass sie ein solches Großprojekt sinnvoller, sauberer
und nachhaltiger stemmen würden, dann mögen sie das beweisen, statt
im olympischen Schmollwinkel zu verharren. Wer lieber in längeren
Zeiträumen denkt und mit Bedeutung aufgeladene historische Daten
schätzt, der lenke seinen Blick aufs Jahr 2036. Dann jährt sich
Hitlers monströse olympische Propagandaschau, dann wäre der richtige
Zeitpunkt, der Welt in Berlin das geläuterte Deutschland zu
präsentieren. Richtig: Die Idee der Völkerverständigung im Zeichen
der fünf Ringe klingt gestrig. Kommerzielle Interessen drohen den oft
beschworenen olympischen Geist zu strangulieren. Und doch wird uns
auch Pyeongchang fesseln. Warum sonst schalten wir ein? Die
Faszination Olympia lebt - trotz allem. Stehen wir nicht länger
abseits, seien wir nicht die olympischen Spielverderber! Es ist
höchste Zeit für eine neue deutsche Bewerbung.
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