Ski-Olympiasiegerin Katja Seizinger im Sporthilfe-Interview: "Es darf nicht alles am Medaillenspiegel festgemacht werden"
(ots) - Katja Seizinger, dreifache
Olympiasiegerin im Ski alpin, spricht im Sporthilfe-Interview über
die Medaillen-Chancen von Viktoria Rebensburg und Thomas Dreßen in
Pyeongchang, über das Für und Wider der Beachtung des
Medaillenspiegels, über die Vorbildfunktion von Felix Neureuther für
den Nachwuchs, den Stellenwert des Sports in Deutschland und fordert
ein Umdenken des IOC bei der Vergabe von Olympischen Spielen.
Am Freitag beginnen die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang.
Kribbelt es schon bei Ihnen?
Katja Seizinger: Olympische Spiele sind etwas Besonderes, ein
Highlight, Winter wie Sommer. Als ehemaliger Sportler verfolgt man
das auf alle Fälle. Ich fiebere mit und freue mich über jede deutsche
Medaille, egal in welcher Sportart. Ich freue mich auch für Athleten,
die ich persönlich kenne, wie beispielsweise Beat Feuz, oder die ich
schätze, wie Aksel Lund Svindal, weil er trotz seiner vielen Erfolge
auf dem Boden geblieben ist und eine tolle Ausstrahlung hat. Wenn er
jetzt zum Abschluss nochmal eine Goldmedaille mitnimmt, würde ich ihm
das sehr gönnen.
Verfolgen Sie die Rennen live am Fernseher?
Katja Seizinger: Die Herrenabfahrt, ja...
... Sie stehen dafür auf?
Katja Seizinger: Die ist mitten in der Nacht? [lacht] Stimmt. Bei
der Herrenabfahrt hätte ich jetzt spontan ja gesagt, aber dann muss
ich nochmal schauen, wann die genau ist. Aber die Top-Rennen versuche
ich mir schon anzuschauen. Auch andere Entscheidungen wie z.B. beim
Skispringen, das verfolge ich dann schon auch, zumindest im
Liveticker. Wenn man einen persönlichen Bezug zu Athleten hat, dann
fiebert man mit.
Wie sehen Sie die deutschen Medaillenchancen im alpinen Bereich?
Katja Seizinger: Unsere größte Medaillenhoffnung ist natürlich
aufgrund der Ergebnisse in der laufenden Saison und ihrer Erfahrung
die Vikki [Viktoria Rebensburg; Anm. d. Red.] Sie ist im Damenbereich
leider die Einzige, die ich in den Medaillenrängen sehe. Im
Herrenbereich haben wir in der Saison verletzungsbedingt ziemlich
Federn lassen müssen, aber Thomas Dreßen gehört sicherlich im
Speedbereich zum erweiterten Kreis der Medaillenkandidaten. Der Kreis
derer, die hier vorne mitmischen können, ist acht bis zehn Mann groß.
Die Topfavoriten sind Aksel Lund Svindal und Beat Feuz; sie müssen
ihre Position verteidigen. Aber von "hinten" können wir kommen.
Was sagen Sie generell zum Überraschungssieger von der Streif in
Kitzbühel?
Katja Seizinger: Das war natürlich sensationell. Schön, wie Thomas
sich gefreut hat, das war sympathisch und einfach nett. Das tut dem
deutschen Skisport gut. Ich glaube, international ist das auch sehr
gut aufgenommen worden, auch seine Art und Weise, wie er sich nach
dem Erfolg gegeben hat. Das spricht für ihn, solche Typen gefallen
mir. Wenn er diesen Weg so weitergehen kann, dann hat der deutsche
Skisport auch in den Speed-Disziplinen wieder ein Vorbild. Damit wird
auch dem Felix [Neureuther; Anm. d. Red.] Druck genommen, wenn da
noch einer neben ihm ist, der mit im Fokus steht. Felix hatte es in
den letzten Jahren nicht einfach. Er musste für fehlende Erfolge im
Herrenbereich alleine gerade stehen.
Bei Olympischen Spielen steht der Medaillenspiegel immer wieder im
Fokus. Ist es in Ihren Augen wichtig, dass Deutschland hier weit
vorne landet?
Katja Seizinger: Wenn man es unter dem Aspekt betrachtet, dass man
auch zukünftig junge Menschen zum Sporttreiben motivieren möchte,
dann sind Vorbilder dafür ganz wichtig. Vorbilder entwickeln sich in
erster Linie dann, wenn sie eine entsprechende Präsenz in der
Öffentlichkeit haben. Dann identifizieren sich Kinder mit der Person
und der Sportart und entwickeln selbst den Wunsch, diese Sportart
auszuüben. Von daher wäre es schön, wenn nicht alles - und somit auch
die Fernsehpräsenz - nur am Medaillenspiegel festgemacht werden
würde. Das degradiert einen vierten oder auch fünften Platz, hinter
denen ebenso herausragende Leistungen und Persönlichkeiten stehen.
Die Deutsche Sporthilfe zahlt deshalb auch Prämien bis zu Platz
acht. Prämien, die oft als viel zu niedrig kritisiert werden.
Katja Seizinger: Ich halte nichts davon, Medaillen mit hohen
Prämien zu belohnen, da wird man dem Sport nicht gerecht. Man sollte
ohnehin eine Unterstützung nicht an einem einzelnen Erfolg, an einer
Medaille festmachen. Das wäre eine ungerechtfertigte Reduzierung. Ein
Georg Hackl hat mit seinen über Jahre hinweg durchgängigen Erfolgen,
mit seiner Präsenz in Bayern weit mehr geleistet- auch wenn er nicht
Olympiasieger geworden wäre. Es kommt auch auf die Persönlichkeit an.
Bestes Beispiel aus meiner Sportart ist Felix Neureuther. Es sind
nicht nur seine Erfolge, die bei ihm zum Tragen kommen. Aufgrund
seiner Persönlichkeit hat er so viel Vorbildfunktion, und es gibt so
viele Kinder, die ihm nacheifern, da muss man versuchen hinzukommen.
Das bietet viel mehr für den Nachwuchs, als eine Goldmedaille.
Wie sehen Sie heutzutage die Bedingungen, Kinder - Sie haben ja
auch zwei - an den Leistungs- und im weiteren Verlauf an den
Spitzensport heranzuführen?
Katja Seizinger: Mein Credo ist, dass Kinder viele Sportarten
ausprobieren sollten, um den Körper vielseitig zu schulen und
herauszufinden, was ihnen am meisten liegt. Sport ist eine gute
Grundlage für das weitere Leben. Wettkampfsport sollte man
unterstützen - wenn die Kinder es denn wollen -, weil sie dort
lernen, sich auf den Punkt zu konzentrieren, Leistung zu bringen,
Niederlagen wegzustecken. Beim Spitzensport sehe ich jedoch ein Für
und Wider. Bezogen auf meine Sportart sieht man mit Abstand das
Verletzungsrisiko mit anderen Augen, insbesondere als Eltern. Von
daher bin ich momentan nicht traurig, dass meine Kinder nicht im
alpinen Rennzirkus landen werden. Aber meine Tochter reitet, das ist
auch nicht ungefährlicher. Von daher, ein gewisses Risiko ist schon
da, aber man kann sie ja auch nicht in Watte packen. Dazu kommen
natürlich auch immer wieder die negativen Nachrichten rund um
Dopingpraktiken. Ich würde somit keinesfalls mit aller Kraft
vorantreiben, ein Kind in den Leistungssport zu bringen, schon gar
nicht, ohne nach links und rechts zu schauen. Aber wer Spaß daran
hat, sollte es machen. Nur die Schule oder später die berufliche
Ausbildung sollten darunter nicht leiden.
Sie selbst haben neben dem Spitzensport stets auch Ihre berufliche
Zukunft im Blick gehabt und parallel dazu studiert.
Katja Seizinger: Das Studium gab mir eine gewisse Unabhängigkeit.
Es war sicherlich kein Zuckerschlecken, aber in Situationen, in denen
es sportlich nicht gelaufen ist, war es manchmal auch hilfreich, sich
mit etwas anderem beschäftigen zu müssen. Es gibt sicherlich
spannendere Studiengänge als BWL, aber nicht alles lässt sich mit dem
Skisport vereinbaren. Ich hätte zum Beispiel auch gerne Architektur
studiert oder Bauingeneurwesen, aber das war undenkbar mit der
Reisetätigkeit im Skisport. Parallel zum Spitzensport zu studieren
ist nicht leicht, aber ich lasse das Argument nicht gelten, dass es
nicht möglich sei. Es gibt in allen Sportarten Beispiele, dass es
machbar ist. Dass die Deutsche Sporthilfe in den letzten Jahren
verstärkt Förderbausteine zur Vereinbarkeit von sportlicher und
beruflicher Karriere auf den Weg gebracht hat, finde ich sehr gut.
Toll funktioniert das auch bei den Eliteschulen des Sports. In
normalen Schulen geht der Trend dagegen komplett in eine andere
Richtung. Da ist der Stellenwert des Sports im Vergleich zu meiner
aktiven Zeit doch stark gesunken.
Olympische Spiele in Deutschland würden den Stellenwert sicherlich
wieder anheben. Wie sehen Sie die Vergabe der Spiele nach Pyeongchang
- das sich ja bei der Vergabe gegen München durchgesetzt hatte?
Katja Seizinger: Ich sehe Vergaben an Orte, wo extreme Bauten
entstehen müssen, sehr kritisch. Nicht nur in Pyeongchang - in Sotchi
oder in meiner Zeit in Albertville war es genauso. Alles an einem Ort
und kurze Wege zu haben, ist zwar schön, aber nicht mehr zeitgemäß.
Man sollte nicht mit immensen Kosten alles neu bauen, nur um die
Auflagen des IOC zu erfüllen. Die Deutschen haben ja ihre Quittung
zwei Jahre später in dem negativen Bürgerentscheid gegeben bzw. auch
zuletzt in Hamburg. Gerade im Wintersport gibt es genug bestehende
Infrastruktur, mit der man alle Disziplinen abdecken könnte. Die
befinden sich zwar mit Schwerpunkt in Nordamerika und Europa, aber
dem muss das IOC halt Rechnung tragen.
Das heißt, Sie sind nicht traurig, dass die Bemühungen um die
Austragung von Olympischen Spielen in Deutschland zuletzt herbe
Niederlagen erlitten haben?
Katja Seizinger: Olympische Spiele in Deutschland wären großartig.
Aber das, was das IOC will, was an Auflagen gemacht wird, damit ein
Ort überhaupt einen Zuschlag bekommen kann, das ist nicht zeitgemäß.
Es ist nur konsequent von der Bevölkerung, dass sie das nicht
unterstützt. Wenn man eine Akzeptanz für solche Großveranstaltungen
wiedergewinnen will, führt an einem Umdenken innerhalb des IOC nichts
vorbei.
Als Abschluss-Frage: Was sind Ihre besonderen Erinnerungen an
Olympische Spiele?
Katja Seizinger: Durch meine Mehrfachstarts in den diversen
Disziplinen hatte ich immer wenig bis gar keine Zeit, andere
Sportarten zu erleben. Der Hackl Schorsch hatte immer am ersten Tag
seinen Wettkampf und dann zwei Wochen Olympia-Tourismus. Er hat uns
dann immer erzählt, was er alles gesehen hat und wie toll es war.
Aber andererseits hatte er nur eine Chance, und die musste dann
passen. Von daher will ich mich nicht beschweren. Aber ein besonderes
Erlebnis will ich noch erwähnen, weil das aufgrund des nigerianischen
Frauen-Bobs wieder aktuell ist: Einmal kamen beim Frühstück 1994 in
Lillehammer die "Cool Runnings" rein. Und da haben alle - selbst die
norwegischen Langläufer, damals zuhause die absoluten Superstars -
gesagt: "Oh, schaut mal, die "Cool Runnings"! Das sind die netten
Erlebnisse am Rande, an die ich mich gerne erinnere. Nicht zu
vergessen natürlich die Momente der deutschen Hymne.
Zur Person
Katja Seizinger (* 10. Mai 1972 in Datteln, Nordrhein-Westfalen)
seit ihrer Heirat im Herbst 1999 Katja Weber
Katja Seizinger ist gemeinsam mit Maria Höfl-Riesch die
erfolgreichste deutsche alpine Skifahrerin. Bis zu ihrer schweren
Verletzung, erlitten bei den ersten Trainingseinheiten im Sommer
1998, hatte sie als die überragende Läuferin der neunziger Jahre das
Geschehen im alpinen Skibereich maßgeblich mitbestimmt. Sie gewann
drei Olympische Goldmedaillen (1994 in Lillehammer und 1998 in
Nagano), wurde Weltmeisterin, gewann 36 Weltcuprennen und zweimal den
Gesamtweltcup. Parallel zum Sport studierte die dreifache "Sportlerin
des Jahres" BWL, anschließend absolvierte sie eine dreijährige
Ausbildung bei einem Wirtschaftsprüfer. Heute lebt die zweifache
Mutter mit ihrer Familie bei Heidelberg und sitzt im Aufsichtsrat
zweier Stahlunternehmen. Seizinger wurde zu Beginn ihrer Karriere von
der Deutschen Sporthilfe gefördert und 1990 als "Juniorsportlerin des
Jahres" ausgezeichnet. Seit 2000 ist sie Mitglied bei emadeus - dem
Club der Sporthilfe-Athleten.
Abdruck honorarfrei. Quelle: Deutsche Sporthilfe.
"Nationale Förderer" der Deutschen Sporthilfe sind Deutsche
Lufthansa, Mercedes-Benz, Deutsche Bank, Deutsche Telekom und
Deutsche Post. Sie unterstützen die Deutsche Sporthilfe, die von ihr
betreuten Sportlerinnen und Sportler und die gesellschaftspolitischen
Ziele der Stiftung in herausragender Weise.
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Datum: 08.02.2018 - 10:30 Uhr
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