Ethikrat: Mit Gene-Drive Krankheitsüberträger und Agrarschädlinge ausrotten?
(ots) - "Gene-Drive - Vererbungsturbo in Medizin und
Landwirtschaft" - unter diesem Titel stand die öffentliche
Herbsttagung, zu der der Deutsche Ethikrat am 26. Oktober 2017 nach
Frankfurt am Main eingeladen hatte.
Gene-Drives sind molekularbiologische Mechanismen, die genetische
Merkmale zügig innerhalb einer Gruppe von Lebewesen verbreiten. In
Verbindung mit neuen Techniken der Genom-Editierung wie CRISPR-Cas9
können sie sehr große Wirkung entfalten. Wegen ihrer raschen
Generationenfolge sind es derzeit vorwiegend Insekten, an denen
Eingriffe mit Gene-Drive-Systemen erforscht werden. So sollen mittels
Gene-Drive beispielsweise Populationen von Mücken kontrolliert
werden, die Krankheiten wie Malaria übertragen. Derartigen Chancen
stehen allerdings schwer überschaubare ökologische Risiken sowie
weitere rechtliche und ethische Bedenken gegenüber, die es im
gesellschaftlichen Diskurs abzuwägen gilt.
Der Ethikrat habe Gene-Drives auf seine Tagesordnung gesetzt,
"weil dieses Thema noch nicht ins Bewusstsein der allgemeinen
Öffentlichkeit vorgedrungen ist und noch keine Fakten gesetzt worden
sind", betonte Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen
Ethikrates, in seiner Begrüßung. Es gehe darum, unbequeme Fragen zu
stellen, so Dabrock, und an einer Gestaltung zu arbeiten, die neben
verschiedenen gesellschaftlichen Belangen auch die Umwelt angemessen
berücksichtigt.
Der Genetiker Nikolai Windbichler, der in die
molekularbiologischen Grundlagen des Themas einführte, sieht in
Gene-Drives eine spezies-spezifische und effektive genetische
Technologie, mit der zum Beispiel die Größe von Moskitopopulationen
erheblich reduziert werden könnte oder die Insekten so modifiziert
werden könnten, dass sie Krankheiten wie Malaria nicht länger
übertragen. Entgegen manchen Befürchtungen stellte Windbichler klar,
dass die Technologie "weder permanent noch unaufhaltbar" ist.
Moskitos können auch gegen Gene-Drives Resistenzen ausbilden, ähnlich
wie gegen Medikamente für Malaria. Außerdem wird an Möglichkeiten
geforscht, Gene-Drives bei Bedarf zu neutralisieren.
Für Marc F. Schetelig, Spezialist für Insektenbiotechnologie im
Pflanzenschutz, sind genetische Strategien des Schädlingsmanagements
eine praktikable Alternative zu Insektiziden zur Bekämpfung von
Insektenschädlingen. Gene-Drive-Anwendungen im Agrarsektor
versprächen einen erheblichen Nutzen für Landwirte und breite
Bevölkerungsschichten, der sich aber mangels Feldstudien noch nicht
klar beziffern lasse.
Der Biologe und Technikfolgenforscher Arnim von Gleich machte
zunächst klar, dass es im Fall von Gene-Drives noch zu früh sei, von
Chancen und Risiken zu sprechen, bislang könne man nur
Nutzenversprechen und Besorgnisgründe beurteilen. Eine prospektive
Technikfolgenbewertung müsse - mit Blick auf die Eingriffstiefe -
eine Charakterisierung der Technologie, eine Schwachpunktanalyse der
Technologie und der Systeme, in die eingegriffen wird, sowie die
Analyse der Einsatzziele und -kontexte vornehmen.
Die Kulturwissenschaftlerin Julia Diekämper erläuterte in ihrem
Beitrag, weshalb die Öffentlichkeit in die entsprechenden
Aushandlungsprozesse einbezogen werden sollte. Dabei gehe es nicht um
Akzeptanzbeschaffung, so Diekämper, sondern darum, der Öffentlichkeit
Räume zu schaffen, ihre nicht nur rational geprägten, sondern oft
intuitiven, wertenden, emotionalen Meinungen zu artikulieren und die
vorgebrachten Argumente ernsthaft zu diskutieren, weil
Gene-Drive-Technologien einen Eingriff in den Lebensalltag eines
jeden Einzelnen bedeuteten.
Die Biologin und Umweltethikerin Uta Eser bezweifelte, dass die
Bekämpfung von Hunger und Infektionskrankheiten die gezielte
Ausrottung ganzer Arten rechtfertige. Denn selbst wenn man Gene-Drive
für ein geeignetes und erlaubtes Mittel zur Realisierung eines
legitimen Zwecks halte, bleibe aus strebensethischer Sicht die Frage,
ob sein Einsatz auch wünschenswert sei. Eser zufolge gebe es
jedenfalls gute Argumente, der gezielten Auslöschung von Arten durch
Gene-Drive mit Zurückhaltung zu begegnen.
Der Agrarökonom Justus Wesseler unterzog die
Gene-Drive-Technologie einer Kosten-Nutzen-Analyse und stellte die
Anwendungs-, Forschungs- und Entwicklungskosten sowie die Folgekosten
auf der einen Seite der Eindämmung von Krankheiten bei Menschen,
Tieren und Pflanzen sowie dem Artenschutz auf der anderen Seite
gegenüber. So mag die Beseitigung von Überträgern wie der
Malariamücke durch Gene-Drive zwar biologisch leichter umsetzbar sein
als eine Kontrolle der Übertragung von Malaria, man müsse aber
bedenken, dass dies schwer bezifferbare ökologische Folgekosten
verursachen könne.
Die Völkerrechtlerin Silja Vöneky nahm die Lücken bestehender
Normen im nationalen Recht, aber auch im Europa- und Völkerrecht in
den Blick. Sie empfahl, internationale Normen zu ergänzen, um
Gene-Drive-Experimente und deren Nutzung rechtlich einzuhegen.
Die abschließende Podiumsdiskussion unter Moderation des Juristen
und Ratsmitglieds Steffen Augsberg befasste sich mit angemessenen
Governance-Strategien. Die Malariaforscherin und DFG-Vizepräsidentin
Katja Becker, der Vertreter der WHO Mathieu Bangert, der
Veterinärmediziner Christoph Then und der Biochemiker Joachim
Schiemann waren sich weitgehend einig darüber, dass die
Öffentlichkeit in den gesellschaftlichen Diskurs einbezogen und
internationale Regelungsansätze verfolgt werden müssen. Darüber
hinaus soll die interdisziplinäre Forschung zum Thema Gene-Drive
weiter vorangetrieben werden. Dabei sei das Vorsorgeprinzip, das in
diesem Fall vor allem fordere, noch eingreifen zu können, wenn etwas
schiefgeht, die oberste Maxime.
Die Beiträge der Herbsttagung können unter http://ots.de/egqYj
nachgehört und in Kürze auch nachgelesen werden.
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Deutscher Ethikrat
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Datum: 27.10.2017 - 11:45 Uhr
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