Studie von Deloitte und VCI / Chemie 4.0: Innovationen für eine Welt im Umbruch
(ots) -
- Verknüpfung von Chemie mit digitalen Dienstleistungen führt zu
neuen Geschäftsmodellen und mehr Nachhaltigkeit
- Branche verfügt über Lösungen, um die zirkuläre Wirtschaft
voranzutreiben
- Chemisch-pharmazeutische Industrie will mehr als 1 Mrd. Euro in
Digitalisierung investieren
Die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland bricht zu
neuen Ufern auf. Mit Chemie 4.0 beginnt die vierte Entwicklungsstufe
in der 150-jährigen Geschichte der Branche, die in den nächsten
Jahrzehnten geprägt wird durch Digitalisierung, zirkuläre Wirtschaft
und Nachhaltigkeit. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Chemie 4.0 -
Wachstum durch Innovation in einer Welt im Umbruch", die vom Verband
der Chemischen Industrie (VCI) mit Unterstützung von Deloitte
erstellt wurde. "Indem wir künftig digitale Massendaten nutzen, kann
unsere Branche ihre Rolle in den Wertschöpfungsketten erweitern und
neue Geschäftsmodelle entwickeln. Darüber hinaus verfügen wir über
zukunftsorientierte Lösungen, um die zirkuläre Wirtschaft
voranzutreiben", sagte VCI-Präsident Kurt Bock zum Potenzial von
Chemie 4.0 für die Entwicklung der Unternehmen. Daher planen die
Unternehmen in den nächsten drei bis fünf Jahren über 1 Milliarde
Euro in Digitalisierungsprojekte und neue digitale Geschäftsmodelle
zu investieren.
Digitalisierung ist für die deutsche Chemieindustrie kein neues
Thema. Viele Unternehmen haben ihre Anlagen bereits automatisiert und
setzen für die Steuerung digitale Prozesse ein. Aber die Nutzung von
digitalen Massendaten, so die Studie, ermöglicht nicht nur
Effizienzgewinne in der Produktion, zum Beispiel durch
vorausschauende Wartung mittels Sensoren, sondern führt auch zu mehr
Innovation, etwa durch virtuelle Realität und fortgeschrittene
Simulationen für Forschung und Produktentwicklung. "Die Verknüpfung
von digitalen Dienstleistungen mit Produkten der Chemie- und
Pharmaindustrie ist der Schlüssel für zusätzliche Wertschöpfung",
betonte der VCI-Präsident.
Daran arbeitet die Branche zum Beispiel in der
Präzisionslandwirtschaft ("Digital Farming"). Unterstützung kommt für
den Landwirt aus der Chemie nicht mehr allein in Form von Dünge- und
Pflanzenschutzmitteln; vielmehr sollen Apps helfen, Krankheiten und
Schädlinge auf dem Feld zu identifizieren und die optimale Dosierung
für die Behandlung der Kulturen zu finden. Weitere Module - etwa zur
Analyse der Bodenbeschaffenheit und der Wettervorhersage - ergänzen
das datenbasierte Modell, mit dem der Landwirt seinen Betrieb steuern
kann. Damit lassen sich betriebswirtschaftliche und die Umwelt
beeinflussende Faktoren verbessern.
Zu den Perspektiven in der Medizintechnik gehören neue, im 3D-
oder zukünftig sogar im 4D-Druck hergestellte Produkte, deren
Materialien von der Chemie entwickelt und angeboten werden.
Werkstoffe aus dem 4D-Druck haben als zusätzliche "Dimension" ein
Formgedächtnis, das sich zu einem bestimmten Zeitpunkt aktivieren
lässt. So können medizinische Implantate in einer leicht zu
verarbeitenden Form hergestellt werden, die dann am gewünschten Ort
im Körper ihre gespeicherte Form annehmen.
Zirkuläre Wirtschaft: Chemie-Optionen für mehr Ressourceneffizienz
Geschlossene Stoffkreisläufe gewinnen in Europa an Bedeutung. Trotz
Recycling werden derzeit in der EU aber nur 13 Prozent(1) aller
eingesetzten Materialien in Kreisläufen geführt. Deutschland ist hier
deutlich weiter: Knapp die Hälfte (46 Prozent) des
Kunststoffabfalls(2) von 5,9 Millionen Tonnen wird durch Recycling
wieder stofflich genutzt, 53 Prozent werden energetisch verwertet.
Von der Chemie oder chemienahen Unternehmen sind verschiedene
industrielle Rücknahmesysteme im Markt etabliert worden, zum Beispiel
für das Recycling von Fensterprofilen, Agrarfolien und
Chemiepaletten. Und die energetische Verwertung von Kunststoffen
trägt dazu bei, dass aus Abfällen Energie und Wärme gewonnen wird.
Da das Konzept einer zirkulären Wirtschaft aber über klassisches
Rohstoff-Recycling hinausgeht und alle Maßnahmen einschließt, die die
Ressourceneffizienz steigern, wird das Konzept Einfluss auf
Produktportfolios und Geschäftsmodelle der chemisch-pharmazeutischen
Industrie nehmen. Die Branche besitzt hier eine Reihe strategischer
Optionen für die Zukunft: Hochleistungswerkstoffe, um den
Ressourcenverbrauch bei den Kunden zu reduzieren, verstärkter Einsatz
nachwachsender Rohstoffe und biologisch abbaubarer Produkte,
Gewinnung von Basischemikalien in Bioraffinerien, Nutzung von Abfall
als Rohstoff ("Waste to Chemicals") und von Stromüberschüssen zur
Herstellung von Chemikalien ("Power to X") sowie die Verwertung von
CO2 als Rohstoff. Während Technik und Verfahren Marktreife erlangen,
lässt der Markt wegen höherer Kosten im Vergleich zu den
konventionellen Methoden noch auf sich warten. Bock: "Der Weg hin zu
umfassendem zirkulären Wirtschaften erfordert einen langen Atem von
den Unternehmen. Sie haben zwar bereits Pilotanlagen für solche
Lösungen aufgebaut - aber wirtschaftlich lassen sich heutzutage die
wenigsten dieser Anlagen betreiben."
Geschäftsmodelle in der zirkulären Wirtschaft werden in der Regel
aus Netzwerken von Partnern verschiedener Branchen bestehen, stellt
Deloitte in der Studie fest. Die Digitalisierung erleichtere die
unternehmensübergreifende Kooperation in solchen ökonomischen
Netzwerken. Unternehmen, die dort erfolgreich sein wollen, müssten
sowohl technische Kompetenzen wie auch Netzwerkkompetenzen auf sich
vereinen. VCI-Präsident Bock sieht gute Chancen, dass
Chemieunternehmen aufgrund ihrer Erfahrung mit komplexen
Produktionsabläufen eine zentrale Rolle als "Orchestrator" in diesen
Netzwerken einnehmen können.
Mittelstand sieht Chancen
Die Analysen von Deloitte wurden durch eine Befragung
mittelständischer Chemie- und Pharmaunternehmen ergänzt. Insgesamt
haben sich 124 mittelständische Unternehmen aus allen Bereichen der
Chemie- und Pharmaindustrie beteiligt. Henrik Follmann, Vorsitzender
des Ausschusses Selbständiger Unternehmer im VCI: "Die
mittelständischen Unternehmen zeigen sich in der Befragung überzeugt,
dass die Digitalisierung und die zirkuläre Wirtschaft gerade dem
Mittelstand neue Möglichkeiten eröffnen."
Diese Chancen wollen die Mittelständler in erster Linie durch
Innovationen nutzen. Zwei Drittel der befragten Unternehmen haben
eine Digitalisierungsstrategie entwickelt oder arbeiten gerade daran.
Vor allem im Bereich Digitalisierung hat die Befragung aber auch
Hemmnisse aufgezeigt. "Ganz besonders nötig ist die Förderung eines
schnellen Breitbandausbaus im ländlichen Raum. Außerdem muss die
digitale Bildung über alle Altersstufen hinweg verbessert werden", so
Follmann.
Transformation braucht industriepolitischen Rückenwind
Der Wandel zu Chemie 4.0 stellt eine Vielzahl von Anforderungen an
die Branche: Der Paradigmenwechsel benötigt aber auch Unterstützung
durch industriepolitische Maßnahmen. "Der Wandel gelingt am besten in
einem politischen und regulatorischen Umfeld, das neue Produkte und
Investitionen fördert. Die Industriepolitik der nächsten
Bundesregierung muss daher vor allem eines sein: gute
Innovationspolitik", erklärte der VCI-Präsident.
Für die Weiterentwicklung der Digitalisierung sieht die Studie
drei politische Prioritäten: Die öffentliche Hand müsse die
technische Infrastruktur ausbauen, die digitale Bildung fördern sowie
die Datensicherheit verbessern und Datenschutzregelungen prüfen. Als
Ziel wird deklariert, dass spätestens bis 2025 die erforderliche
schnelle Breitband-Infrastruktur für die Telekommunikation steht.
Parallel sei der Aufbau eines leistungsfähigen Sicherheitsnetzwerks
in Deutschland und Europa zwischen Behörden, Unternehmen und
Forschung zu bewerkstelligen. Der Maßstab für den
datenschutzrechtlichen Regulierungsrahmen sollte sich am mündigen
Bürger orientieren.
Für Fortschritte in der zirkulären Wirtschaft sollten laut
Vorschlag der Studie künftige Vorschriften einem Innovations-Check
unterzogen werden, damit sie neue Geschäftsmodelle nicht behindern.
Um mehr Investitionen anzuregen, werden staatliche
Anlauffinanzierungen für neuartige Projekte und Erleichterung des
Zugangs zu Wagniskapital sowie Förderung von
Private-Public-Partnerschaften in Form von Pilotprojekten empfohlen.
Die Politik sollte zudem ein grundlegendes Verständnis in der
Gesellschaft für eine zirkuläre Wirtschaft fördern. Dazu gehöre zum
Beispiel, Transparenz über Ziele und Kosten zu schaffen.
(1)Studie Fraunhofer UMSICHT für den VCI-Landesverband NRW, März 2017
(2)Consultic-Studie zum Kunststoff-Stoffstrombild, Oktober 2016
HINWEIS: Die Deloitte/VCI-Studie "Chemie 4.0 - Wachstum durch
Innovation in einer Welt im Umbruch" erhalten Sie hier in einer
Kurz-und Langfassung: www.vci.de/chemie40
Der VCI vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von rund
1.700 deutschen Chemieunternehmen und deutschen Tochterunternehmen
ausländischer Konzerne gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen
der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. Der VCI steht für
mehr als 90 Prozent der deutschen Chemie. Die Branche setzte 2016
rund 185 Milliarden Euro um und beschäftigte über 447.000
Mitarbeiter.
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Datum: 28.09.2017 - 13:03 Uhr
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