Verwaltungsgericht Stuttgart: Diesel-Fahrverbote in Stuttgart ab 1. Januar 2018 zulässig und erforderlich
(ots) - Deutsche Umwelthilfe siegt vor dem
Stuttgarter Verwaltungsgericht mit Klage gegen das Land
Baden-Württemberg - Der von der Landesregierung vorgelegte Entwurf
des Luftreinhalteplans enthält keine ausreichenden Maßnahmen zur
Verringerung der Luftbelastung - Gericht lehnt Software-Updates für
Diesel-Pkw als ungeeignete Maßnahme ab - DUH-Bundesgeschäftsführer
Jürgen Resch sieht die Software-Updates als gescheitert an und
fordert Ministerpräsident Kretschmann auf, den Richterspruch zu
akzeptieren - An ganzjährigen Diesel-Fahrverboten im gesamten
Stuttgarter Stadtgebiet führt nun kein Weg mehr vorbei -
Verwaltungsgericht: "Diesel-Fahrverbote sind rechtlich zulässig und
unausweichlich"
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit seinem heutigen Urteil
der Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Land
Baden-Württemberg in vollem Umfang stattgegeben. Die DUH forderte
insbesondere die Einführung von umfassenden Fahrverboten für
Diesel-Fahrzeuge im gesamten Stadtgebiet. Das Gericht stellte klar,
dass ganzjährige Diesel-Fahrverbote in der Stuttgarter Umweltzone
unausweichlich und schon jetzt rechtlich zulässig sind. Die britische
NGO Client Earth unterstützt die Klage der DUH.
"Das Verkehrsverbot verstößt nicht gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, weil der Gesundheitsschutz höher zu gewichten
ist als das Recht auf Eigentum und die allgemeine Handlungsfreiheit
der vom Verbot betroffenen Kraftfahrzeugeigentümer", so der
Vorsitzende Richter Wolfgang Kern in der Urteilsbegründung.
Gegenstand der Auseinandersetzung war die Frage, ob die in der 3.
Fortschreibung des Luftreinhalteplans durch das Regierungspräsidium
Stuttgart vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen, die von der EU
vorgeschriebenen Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid
(NO2) schnellstmöglich einzuhalten. In der mündlichen Verhandlung am
19.7.2017 stellte sich heraus, dass der vorliegende Plan keine
Maßnahmen aufweist, die das geforderte Ziel sicherstellen.
Kurz vor der mündlichen Verhandlung hatte die Landesregierung
angekündigt, anstelle von Fahrverboten auf Software-Veränderungen an
Euro 5-Fahrzeugen durch die Autohersteller setzen zu wollen. Im
Rahmen der mündlichen Verhandlung am 19.7.2016 konnten die Vertreter
des Landes jedoch keine relevante Minderungswirkung durch ein
Software-Update nachweisen. Überraschend deutlich bewertete das
Gericht in seinem Urteil diese Maßnahme daher als ungenügend. Die DUH
fühlt sich dadurch in ihrer grundsätzlichen Kritik an der Zielsetzung
des "Nationalen Forums Diesel" am 2.8.2017 in Berlin bestätigt, das
ebenfalls auf freiwillige Maßnahmen der Autokonzerne hofft.
Reine Software-Lösungen bei Euro 5+6 Diesel-Fahrzeugen sind nach
Ansicht der DUH sowie vieler unabhängiger Experten ungeeignet, um
eine ausreichende Absenkung der viel zu hohen Belastung der Luft mit
dem Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2) in unseren Städten
sicherzustellen. Die DUH fordert Fahrverbote für alle
Dieselfahrzeuge, die den Euro 6 Grenzwert von 80 mg NOx/km auf der
Straße überschreiten. Es ist technisch möglich, Euro 5+6
Diesel-Fahrzeuge durch den Austausch der Abgasreinigungsanlage so
sauber zu machen, dass diese Fahrzeuge bedenkenlos in die Innenstädte
einfahren können. Die Kosten hierfür belaufen sich auf cirka 1.500
Euro bei Diesel-Pkw, die nach Ansicht der DUH vollständig vom
Hersteller aufgebracht werden müssen. Bloße Software-Veränderungen
sind hingegen ungeeignet, um die Luftqualität zu verbessern. Die zu
erwartenden Effekte sind unter anderem deshalb so gering, weil die
Updates auf Freiwilligkeit beruhen und die Emissionen vor allem im
für den Gesundheitsschutz wichtigen Winterhalbjahr bei
Außentemperaturen von unter +10 Grad Celsius nicht gesenkt werden
sollen.
"Ministerpräsident Kretschmann muss nun Wort halten und wie im
Februar angekündigt die für zulässig erachteten Diesel-Fahrverbote ab
Jahresbeginn 2018 erlassen. Außerdem muss er nach diesem Urteil seine
bisherigen Chefberater Franz Fehrenbach und Dieter Zetsche entlassen.
Der von Daimler und Bosch entwickelte Alternativplan zu
Diesel-Fahrverboten wurde vom Verwaltungsgericht als handwerklich wie
inhaltlich ungeeignete Luftreinhaltemaßnahme verworfen. Es hat sich
nicht bewährt, über Monate hinweg nur einseitig mit den Vertretern
der Diesel-Industrie zu sprechen und alle Gesprächsangebote der
Deutschen Umwelthilfe auszuschlagen. Jetzt geht es darum, schnell die
notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, so dass die Menschen in Stuttgart
ab 2018 wieder sorgenfrei durchatmen können. Ich bin gespannt, ob
unser Gesprächsangebot nun angenommen wird," sagt Jürgen Resch,
Bundesgeschäftsführer der DUH.
Remo Klinger, der die DUH als Rechtsanwalt in diesem und in 15
anderen Verfahren zur Luftreinhaltung vertritt, sagt: "Wir haben auf
ganzer Linie gewonnen. Das Gericht hat die Behauptungen des
Ministeriums zur Wirksamkeit von Software-Updates nicht einfach
hingenommen, sondern hinterfragt und im Ergebnis zu Recht verworfen.
Damit liegt die zweite Grundsatzentscheidung vor, die
Diesel-Fahrverbote schon jetzt als zulässig und geboten ansieht. Für
Düsseldorf ist dies ebenso entschieden worden. Das Verwaltungsgericht
Stuttgart geht inhaltlich noch über die Entscheidung aus Düsseldorf
hinaus, indem es die Verkehrsbeschränkungen nicht nur auf einzelnen
Straßen, sondern in der gesamten Umweltzone zulässt. "
Rechtsanwalt Ugo Taddei von Client Earth kommentiert das Ergebnis:
"Hot on the heels of Düsseldorf and Munich, now Stuttgart too has
been ordered by a court to introduce a diesel ban. In striking
contrast to reluctant governments and a discredited car industry,
courts across Europe are stepping in to protect people''s right to
clean air and to effective measures that will put a definitive end to
this public health crisis."
Das Urteil folgt einer Reihe von Entscheidungen, die die DUH in
den letzten Jahren gewinnen konnte und die mit zunehmender
Deutlichkeit den Handlungsauftrag von Behörden unterstreichen. Der
durch das Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision zum
Bundesverwaltungsgericht wurde von Seiten der DUH bereits zugestimmt,
die Zustimmung der Stuttgarter Behörde steht noch aus.
Hintergrund:
Seit sieben Jahren wird der gesetzlich vorgeschriebene
Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 μg/m3 an allen
verkehrsnahen Messstationen in Stuttgart deutlich überschritten. An
den Stationen Hohenheimer Straße und am Neckartor lagen die Werte im
Jahre 2016 mit 78 μg/m3 bzw. 82 μg/m3 rund doppelt so hoch wie
erlaubt. Hinzu kommen an der Station am Neckartor deutliche
Überschreitungen des Grenzwertes für die Feinstaubkonzentration PM10.
Stuttgart ist damit die schmutzigste Stadt Deutschlands, was die
Belastung mit den beiden Dieselabgasgiften Feinstaub und
Stickstoffdioxid angeht. Wegen anhaltender Überschreitung der
Grenzwerte der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung in Bezug auf
Stickstoffdioxid (NO2) in Stuttgart hatte die DUH im November 2015
vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das Land Baden-Württemberg,
vertreten durch das Regierungspräsidium Stuttgart, eingereicht. Die
DUH hatte beantragt, die verantwortlichen Behörden dazu zu
verpflichten, den für die Stadt Stuttgart geltenden Luftreinhalteplan
so zu ändern, dass dieser die für das Stadtgebiet Stuttgart
erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über
ein Kalenderjahr gemittelten Grenzwertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m3
und des Stundengrenzwerts für NO2 von 200 µg/m3 (der nicht öfter als
achtzehnmal im Kalenderjahr überschritten werden darf) enthält. Nach
Auffassung der DUH sind Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge die
wichtigste Einzelmaßnahme. In ihrem Verfahren wird sie von der
britischen NGO ClientEarth unterstützt.
Links:
Mehr über das Projekt "Right to Clean Air":
http://right-to-clean-air.eu/
Stellungnahme der DUH zur 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans:
http://l.duh.de/p170616
Kontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
0171 3649170, resch(at)duh.de
Prof. Dr. Remo Klinger, Geulen & Klinger Rechtsanwälte,
0171 2435458, klinger(at)geulen.com
Ugo Taddei, Rechtsanwalt Client Earth
0032 2 808 4323, utaddei(at)clientearth.org
DUH-Pressestelle:
Andrea Kuper, Ann-Kathrin Marggraf
030 2400867-20, presse(at)duh.de
www.duh.de, www.twitter.com/umwelthilfe, www.facebook.com/umwelthilfe
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Datum: 28.07.2017 - 12:24 Uhr
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