Sebastian Dietz: Mehr als ein Leistungssportler / Starker Typ, starke Einstellung: Paralympics-Sieger Sebastian Dietz ist bei der Para-Leichtathletik-WM in London Favorit auf Kugelstoß-Gold (FOTO)
(ots) -
Leistungssportler und Botschafter? Oder doch Botschafter und
Leistungssportler? "Der Leistungssport ist meine Heimat", sagt
Kugelstoßer Sebastian Dietz, der bei der anstehenden WM in London
(14.-23. Juli) seinen Titel verteidigen möchte, "aber ich empfinde
auch eine soziale Verantwortung und frage mich immer: Wenn nicht
jetzt als Aktiver, wann dann?" Der zweifache Paralympics-Sieger von
London 2012 und Rio 2016 hat so viele Aktivitäten, die locker auch
mehrere Leben füllen könnten. Er ist professioneller Kugelstoßer, im
Vorstand bei seinem Verein BSG Bad Oeynhausen, Botschafter für
"SCHAKI", ein Verein für Kinder mit Schlaganfall, sowie
Landesliga-Trainer der Damen des SC Enger 13/53. Wobei er letzteren
Job nach dem gelungenen Klassenerhalt "schweren Herzens" aufgeben
musste, weil die Zeit einfach nicht mehr ausgereicht hatte.
Bei einer derartigen Masse an Verpflichtungen ist es nur
verständlich, dass der 32-Jährige auch mal etwas vergisst. Das hat
ihn nun den offiziellen Weltrekord gekostet. Der Wettkampf in seiner
Heimat Bad Oeynhausen Anfang Juni war nicht beim Internationalen
Paralympischen Komitee gemeldet, deshalb ist es für die Rekordlisten
nichtig, dass Dietz mit 15,47 Metern seine eigene Bestleistung aus
Rio um 60 Zentimeter und den offiziellen Weltrekord des Russen
Vladimir Sviridov eigentlich um 13 Zentimeter verbesserte. Ärgerlich
findet er das Missgeschick, "aber damit muss ich leben, weiter hart
arbeiten und dann schauen, was in London passiert."
Die Hochzeitsplanung richtet sich nach der Vorbereitung auf die EM
2018 in Berlin
Das Olympiastadion hat er schon mal als Sieger verlassen: Die
Paralympics-Goldmedaille 2012 mit dem Diskus war sein internationaler
Durchbruch, 2013 ließ er den WM-Titel folgen. Dann musste er auf
Kugelstoßen umsteigen, weil Diskus für eine Startklasse aus dem
Paralympics-Programm genommen wurde - doch 2015 gewann er wieder
WM-Gold und stand auch bei den Spielen 2016 ganz oben.
Das jüngste Großereignis in Rio hat er in bester Erinnerung,
schließlich war in den wenigen Stunden vor und nach seinem Wettkampf
von allem etwas dabei, was ihm in seinem Leben wichtig ist: Nach Gold
im Kugelstoßen eilte er von der Siegerehrung auf die Tribüne, wo
brasilianische Straßenkinder auf ihn warteten, denen er Tickets
besorgt hatte. Am Abend machte er im Deutschen Haus seiner Freundin
Sophie einen Heiratsantrag. "Das werde ich nie vergessen. Es hat viel
Überwindung und Aufwand gekostet, aber jede einzelne Entscheidung,
das so zu machen, war perfekt", sagt Dietz, der nun im Mai 2018
heiraten wird - um noch genug Zeit zu haben, sich auf die
Heim-Europameisterschaft in Berlin vorzubereiten.
Sein professionelles Umfeld hat er nach den Paralympics weiter
ausgebaut. Auch dank Dietz'' Initiative ist Bad Oeynhausen seit kurzem
Landesstützpunkt des Behinderten- und Rehabilitationssportverband
Nordrhein-Westfalen, sein Trainer Alexander Holstein ist mit einer
halben Stelle dort beschäftigt. Für Dietz bedeutet das, dass er
Kindern mit einer Behinderung eine noch bessere sportliche
Perspektive bieten kann: "Wir sind ein Gesundheitsstandort, ein
Kurort, das ist eigentlich optimal. Sport ist eine gute Möglichkeit,
Menschen Freude und Spaß zu vermitteln und zu zeigen, dass das Leben
immer Wege findet."
Wenn der ehemalige Fußballer das sagt, schwingt auch seine eigene
Geschichte mit. Mit 19 Jahren hatte er einen schweren Verkehrsunfall.
Die Ärzte sagten, er würde nie wieder laufen können. Mit der Kraft
seiner Familie und viel Training schaffte er es aber, wieder zu
gehen. Bis heute sind die linke Hand und das linke Bein gelähmt.
Dietz geht offen mit dem Unfall um und setzt sich auch für
Verkehrssicherheit ein: "Autofahren ist gefährlich. Man sollte das
Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen."
Schon alles gewonnen und trotzdem voll motiviert: "Es ist wichtig,
einfach immer weiter zu kämpfen"
Sein gesellschaftliches Engagement führte Dietz mit einem Projekt
für Inklusion sogar so weit, dass er bei einer Sonderaudienz im
Vatikan von Papst Franziskus gesegnet wurde. Wenn der 32-Jährige am
17. Juli in London im Ring steht, wird all das für einen kurzen
Moment aber keine Rolle mehr spielen, denn dann geht es nur um den
Sieg. Wie der Ostwestfale sich noch motiviert, wenn er sich für so
vieles einsetzt, das wichtiger scheint, und er im Sport schon alles
gewonnen hat? "Bisher war ich immer Herausforderer, jetzt bin ich der
Gejagte, das reizt mich. Es ist wichtig, einfach immer weiter zu
kämpfen - im Leben wie im Sport."
Die Bedingungen für Dietz, der auch vom Top-Team des Deutschen
Behindertensportverbandes gefördert wird, sind bei der
Nationalmannschaft fast optimal. Erstmals ist neben Trainingspartner
Frank Tinnemeier und Trainer Alexander Holstein auch sein
Physiotherapeut Yannic Schönhagen dabei. "Das ist unglaublich
wichtig. So bekomme ich den Input, den ich auch von zu Hause kenne."
Und mit den anderen Werfern Niko Kappel, Mathias Mester und Mathias
Schulze hat er weitere Teamkollegen, die ihn anfeuern, anspornen -
und zum Lachen bringen: "Ab und zu sind wir gestresst voneinander",
sagt Sebastian Dietz schmunzelnd und fügt an: "Doch es ist natürlich
schön, dass sie dabei sind."
Mehr zum Top Team, das von der Allianz Deutschland AG, der
Deutschen Telekom AG, der Sparkassen-Finanzgruppe und der Toyota
Deutschland GmbH gefördert wird, zum Hintergrund und zum Kader finden
Sie auf der Internetseite der Deutschen Paralympischen Mannschaft:
http://bit.ly/2sJNwE5
Mit sieben Paralympics-Siegern von 2016 nach London
Ohne die Paralympics-Sieger Heinrich Popow und Birgit Kober, dafür
mit den Rio-Goldmedaillengewinnern Sebastian Dietz, Niko Kappel,
Daniel Scheil, Markus Rehm, David Behre, Johannes Floors und Felix
Streng wird die deutsche Nationalmannschaft der Para-Leichtathleten
zur Weltmeisterschaft nach London vom 14. bis 23. Juli 2017
aufbrechen. Insgesamt 23 Sportlerinnen und Sportler gehören zum
Aufgebot von Bundestrainer Willi Gernemann im Londoner
Olympiastadion.
Der deutsche Kader im Überblick:
Lindy Ave (19 / Neubrandenbrug / HSG Uni Greifswald / 100m, 200m,
Weitsprung), Alhassane Baldé (31 / Wohnort: Bonn / SSF Bonn / 800m,
1500m, 5000m), David Behre (30 / Duisburg / Bayer Leverkusen / 100m,
200m, 400m, Staffel), Irmgard Bensusan (26 / Wohnort: Leverkusen /
Bayer Leverkusen / 100m, 200m, 400m), Sebastian Dietz (32 / Worms /
BSG Bad Oeynhausen / Kugelstoßen), Johannes Floors (21 / Bissendorf
(Niedersachsen) / Bayer Leverkusen / 100m, 200m, 400m, Staffel),
Frances Herrmann (28 / Cottbus / BPRSV Cottbus / Kugelstoßen, Speer),
Niko Kappel (22 / Schwäbisch-Gmünd / VfL Sindelfingen / Kugelstoßen),
Frederike Koleiski (29 / Wesel / Eintracht Duisburg / Kugelstoßen,
Diskus), Mathias Mester (30 / Münster / 1. FC Kaiserslautern /
Speer), Juliane Mogge (27 / Kassel / TV Wattenscheid / Kugelstoßen),
Katrin Müller-Rottgardt (35 / Duisburg / TV Wattenscheid / 100m,
(200m), Weitsprung), Markus Rehm (28 / Göppingen / Bayer Leverkusen /
Weitsprung, Staffel), Léon Schäfer (20 / Hannover / Bayer Leverkusen
/ 100m, 200m, Weitsprung), Daniel Scheil (44 / Freiberg /BVS Weiden /
Kugelstoßen), David Scherer (21 / Ottweiler (Saarland) / TV
Püttlingen / 100m, 200m), Marc Schuh (27 / Köln / TV Herkenrath /
100m, 200m, 400m), Mathias Schulze (33 / Magdeburg / SC DHfK Leipzig
/ Kugelstoßen, Diskus), Felix Streng (22 / Wohnort: Leverkusen /
Bayer Leverkusen / 100m, 200m, Weitsprung, Staffel), Frank
Tinnemeier(44 / Lemgo / TSV Hillentrup / Kugelstoßen), Thomas
Ulbricht (32 / Salzwedel (Sachsen-Anhalt) / PSC Berlin / 100m,
Speer), Martina Willing (57 / Pasewalk (MVP) / BPRSV Cottbus /
Kugelstoßen, Speer), Annika Zeyen (32 / Bonn / SSF Bonn / 200m, 400m,
800m, 1500m, 5000m).
Pressekontakt:
Deutscher Behindertensportverband
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Datum: 06.07.2017 - 12:39 Uhr
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