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Landeszeitung Lüneburg: "Unsere zwei Gesichter" - Interview mit Primatenforscher Dr. Martin Surbeck

ID: 1496271


(ots) - Primatenforscher Dr. Martin Surbeck: Bonobos
pflegen eine Willkommenskultur - Schimpansen führen dagegen Krieg

Bonobos und Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten - quasi
Spiegel des Menschen. Die Spiegelbilder sind allerdings sehr
unterschiedlich. Können Sie beide Arten mit ihren Besonderheiten
charakterisieren?

Dr. Martin Surbeck: Ähnlich sind sie sich darin, dass Männchen und
Weibchen in einem gemeinsamen Territorium zusammenleben. Tagsüber
sind die Gruppen sehr selten als Ganzes unterwegs, stattdessen teilen
sie sich in kleinere Grüppchen auf. Nun zu den Unterschieden:
Schimpansen verteidigen ihr Territorium gegenüber Nachbargruppen. Da
werden regelrechte Grenzpatrouillen gelaufen und es kommt zu
Kommandounternehmen, bei denen Männchen der anderen Kommune
umgebracht werden. Die Männchen der Schimpansen sind deutlich
kräftiger als die der Bonobos und ebenso dominanter gegenüber den
Weibchen. Bonobos führen keine Kriege gegen die Nachbarn. Es kann
sogar vorkommen, dass benachbarte Kommunen sich über ein bis zwei
Wochen gemeinsam in einem Areal aufhalten und sich tolerant gegenüber
den Fremden verhalten - eine Willkommenskultur. Zudem dominieren bei
den Bonobos nicht alle Männchen die Weibchen, sondern es ist eher so,
dass die ranghöchsten Individuen der Gruppe Weibchen sind - wobei
nicht alle Weibchen dominieren, es ist also kein lupenreines
Matriarchat, sondern eine Ko-Dominanz, also eine zwischen den
Geschlechtern gemischte Rangordnung.

Ihre Arbeitshypothese war, dass sich die Unterschiede bei der
Kooperation der Männchen gegen fremde Gruppen auch auf die
Sozialstruktur auswirken. Wie haben Sie dies überprüft und was sind
die Ergebnisse?

Wir, das heißt insgesamt zehn Forscher, haben über Jahre zwei
Bonobo-Populationen in der Demokratischen Republik Kongo, drei




Schimpansen-Gruppen in der Elfenbeinküste und zwei in Uganda
daraufhin beobachtet, mit Tieren welchen Geschlechts sich Bonobos und
Schimpansen vorzugsweise in den kleinen Gruppen, in denen sie
tagsüber herumstreifen, umgeben. Dabei fanden wir heraus, dass alle
Schimpansengruppen nach Geschlechtern getrennt waren. Bei den Bonobos
hingegen umgaben sich beide Geschlechter lieber mit Weibchen. Das
Führen von Kriegen wie bei den Schimpansen hat also einen
fundamentalen Einfluss auf die Struktur einer Gesellschaft. Es bilden
sich Männerbünde.

Der Sapiens ist eng sowohl mit dem Bonobo als auch mit dem
Schimpansen verwandt. Wen ähneln wir in unseren Sozialstrukturen
stärker?

Über diese Frage gibt es eine lange Debatte. Betrachtet man etwa
menschliche Jäger- und Sammler-Gesellschaften, werden auch diese von
mehreren Männern und Frauen gemeinsam gebildet, wobei sich auch diese
Gesamtgruppen tagsüber aufspalten, damit die kleineren Untergruppen
ihren jeweiligen Tätigkeiten nachgehen können. Es ist ziemlich
deutlich, dass das kriegerische Element der aggressiven Verteidigung
des eigenen Territoriums während der menschlichen Evolution eine
wichtige Rolle gespielt hat. Über Jahrzehnte wurde das
Schimpansen-Modell deshalb in der Forschung als das Klassische
dargestellt, auch, weil bei uns ebenfalls die Männer dominant
gegenüber den Frauen auftreten. Dieses Bild war allerdings zu
einseitig. So gab es zwischen menschlichen Gesellschaften immer auch
Handel und Austausch von Individuen und Ideen. Benachbarte
Schimpansen-Kommunen leben in einer Dauerfehde, während Menschen sich
immer auch durch die Fähigkeit auszeichnen, Frieden schließen zu
können. Beim kooperativen Verhalten haben wir offenbar also einen
Gutteil des Bonobo-Programms in unserem Repertoire.

Konfliktlösung durch Sex wie bei den Bonobos und Konfliktlösung
durch Krieg wie bei den Schimpansen - der Mensch hat beide Optionen.

Das sehe ich auch so. Für den Forscher Frans de Waal waren die
Bonobos feingliedrige Intellektuelle, Schimpansen hingegen
Bodybuilder. Das sind unsere Pole.

Warum wurde das Matriarchat unter den Menschenaffen lediglich bei
den Bonobos zum Erfolgsmodell?

Ein Grund dafür ist, dass in den meisten Spezies die Männchen über
körperliches, aggressives Verhalten miteinander konkurrieren. Das
erhöhte den Selektionsdruck in Richtung auf größere, stärkere,
aggressivere Männchen. Als Nebenprodukt bildeten die körperlich
Dominierenden auch das dominante Geschlecht. Weibchen haben nur in
den Arten eine Chance, die Männchendominanz zu durchbrechen, in denen
die Konkurrenz zwischen den Männchen nicht so ausgeprägt ist. Bei den
Bonobos ist dies der Fall, weil die Weibchen nicht unmissverständlich
anzeigen, wann sie empfängnisbereit sind. Trotz rosa
Genitalschwellung, die bei Affen normalerweise Fruchtbarkeit
signalisiert, haben sie oft keinen Eisprung. Und weil die Männchen
diesbezüglich im Dunkeln tappen, lohnt es sich für sie - im Sinne
einer Strategie, für mehr eigenen Nachwuchs zu sorgen, nicht,
Konkurrenten von den Weibchen wegzuhauen. Tatsächlich bilden
Bonobo-Weibchen sogar Koalitionen, um ihrerseits Männchen
anzugreifen. Untersucht man die Beziehung zwischen einem Weibchen und
einem Männchen, zeigt sich, dass das Weibchen eher das Sagen hat,
wenn es seine attraktive, Empfängnisbereitschaft signalisierende
Phase hat. Hat sie ihre Genitalschwellung, sitzt sie am längeren
Hebel, um ihren Willen durchzusetzen.

Was war das ursprüngliche Verhalten des gemeinsamen Vorfahren von
Bonobo und Schimpanse vor einem bis zwei Millionen Jahren - Diktator
oder Diplomat?

Das ist eine schwierige Frage, weil wir nur über wenige Fossilien
verfügen, die uns ein Bild von der Anatomie dieses Vorfahren
erlauben. Jüngst erschien eine Studie, nachdem der fragilere
Bonobo-Körperbau eher die ursprüngliche Variante gewesen sein könnte.
Aber das ist eher offen. Es deutet vieles daraufhin, dass sich die
Bonobos einen neuen Lebensraum erschlossen haben, der nicht ihrem
ursprünglichen entsprach. Das könnte mit Verhaltensänderungen einher
gegangen sein, aber wir wissen es nicht. Relativ sicher kann man
sein, dass diejenigen Verhaltensweisen, die sowohl Bonobos als auch
Schimpansen aufweisen, auch von ihrem Vorfahren gezeigt wurden.

Die Lebensräume der beiden Arten unterscheiden sich. Südlich des
Kongo - im Bonobo-Gebiet - gibt es ein üppigeres Nahrungsangebot. War
es deshalb von evolutivem Vorteil, kooperativer zu sein und nördlich,
im kargeren Schimpansen-Habitat, kriegerischer?

Ressourcenknappheit wäre in der Tat eine gute Erklärung für die
Territorialität von Schimpansen. Hier würde es sich für die Männchen
auszahlen, diese Ressourcen gegenüber den Nachbarn zu monopolisieren.
Eine derartige Notwendigkeit entfällt, wenn die Ressourcen
gleichmäßiger und reichhaltiger vorhanden sind wie bei den Bonobos.
Allerdings wissen wir nicht, ob der Lebensraum der Bonobos auch in
ihrer Entwicklungsphase so reichhaltig gewesen ist.

Wenn bei unseren nächsten Verwandten in zentralen Punkten ein
derart entgegengesetztes Verhalten auftritt, kann sich der Mensch
aber zumindest nicht auf seine Biologie berufen, um eigenes Verhalten
zu rechtfertigen, oder?

Auf jeden Fall haben wir eine große Flexibilität von unserem
Primatenerbe mitbekommen. Wir leben nicht ständig im Krieg wie die
Schimpansen, sind aber auch keine Kamasutra-Primaten wie die Bonobos.
Wir teilen die Veranlagung beider.

Das Interview führte

Joachim Zießler

Zur Person

Martin Surbeck (41) hat an der Universität Zürich Zoologie
studiert und in Bangalore, Indien, seine Diplomarbeit über
Fortpflanzungsstrategien von Wespen angefertigt. Nach anschließendem
Abschluss des Lehramtsstudiums ging er ans Max-Planck-Institut für
Evolutionäre Anthropologie nach Leipzig, um dort zu promovieren.
Seine Doktorarbeit beschäftigt sich mit Dominanzverhalten und
Aggressivität bei Bonobos.

Die Verwandten

Rüpel vs. Hippie Bonobos und Schimpansen sind unsere nächsten
Verwandten. In Afrika trennt der Kongo ihre Lebensräume. Bonobos
gelten als Kamasu-tra-Primaten, weil Sex bei ihnen auch dazu dient,
soziale Beziehungen zu stärken. Bonobo-Männchen ordnen sich Weibchen
unter. Schimpansen-Trupps werden von Alpha-Männchen beherrscht. Die
Gruppen verteidigen ihr Revier. Kämpfe von Gruppen enden oft tödlich.



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de

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Datum: 02.06.2017 - 12:26 Uhr
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