VW Skandal-Sensationsurteil durch Landgericht Offenburg: Händler muss neuen VW Tiguan liefern gegen Rückgabe des manipulierten PKW ohne Nutzungsentschädigung
(ots) - Die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
erstreitet ein weiteres sensationelles Urteil für einen geschädigten
VW Tiguan Fahrer. Erneut ergeht ein verbraucherfreundliches Urteil im
VW Skandal: das Landgericht Offenburg, 3 O 77/16 (nicht
rechtskräftig) hat einen VW Händler mit Urteil vom 21.03.2017
verurteilt, einen neuen VW Tiguan aus der aktuellen Serienproduktion
mit der Euro-6-Norm zu liefern gegen Rückgabe des manipulierten VW
Tiguan, ohne dass der Geschädigte eine Nutzungsentschädigung bezahlen
muss.
Nachdem bereits im Januar das Landgericht Regensburg, 7 O 967/16
einen Seat Händler zur Nachlieferung eines Seat Alhambra verurteilt
hat, ist ein weiteres sehr verbraucherfreundliches Urteil zu Gunsten
eines Geschädigten ergangen.
Der Geschädigte hatte von einem VW Händler aus dem Ortenaukreis im
Januar 2014 einen neuen VW Tiguan Bluemotion 2,0l TDI mit 177 PS
erworben. Nach Aufdeckung des VW-Skandals musste der Geschädigte
feststellen, dass auch sein Fahrzeug vor den Manipulationen durch VW
(Motor EA 189) betroffen ist. Im Januar 2016 verlangte der Kläger
über die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH die
Nachlieferung eines neuen VW Tiguan gegen Rückgabe des manipulierten
Tiguan ohne eine Nutzungsentschädigung bezahlen zu müssen. Dies
lehnte der Händler jedoch ab, weshalb eine Klage vor dem Landgericht
Offenburg erhoben wurde.
Das Landgericht Offenburg hat der Klage nunmehr vollumfänglich
stattgegeben und wie folgt verurteilt:
"1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein mangelfreies,
fabrikneues typenidentisches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen
Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer
Ausstattung wie das Fahrzeug VW Tiguan, FIN: nachzuliefern, Zug um
Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs VW Tiguan, FIN:
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der
Neulieferung und mit der Rücknahme der in Ziffer 1 genannten
Fahrzeuge in Verzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die
Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.642.20 Euro nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 17.04.2016
freizustellen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte."
Das Landgericht Offenburg begründet seine Entscheidung wie folgt:
Der VW Tiguan ist mit einem Sachmangel behaftet, weil Einkäufer
erwartet, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.
Dies ist nach Ansicht des Landgerichts Offenburg nicht der Fall, weil
ein Entzug der Betriebserlaubnis drohe.
Das Landgericht Offenburg führt dann wörtlich weiter aus:
"b) Damit kann der Käufer nach seiner Wahl gemäß § 437 Nr. 1, §
439 Abs. 1 BGB Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs oder die
Beseitigung des Mangels verlangen. Im Streitfall hat der Kläger die
Nachlieferung gewählt, so dass er einen Anspruch auf Lieferung eines
fabrikneuen Pkw VW Tiguan hat.
aa) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die
Nachlieferung nach § 439 Abs. 3, § 275 BGB unmöglich wäre. Denn die
Nachlieferung des streitgegenständlichen Pkw ist nicht unmöglich.
(1) Vorliegend lag eine Gattungsschuld vor. Eine Ersatzlieferung
wird erst dann unmöglich, wenn die gesamte Gattung untergegangen bzw.
mangelhaft ist (Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 439 Rn. 15). Im
Streitfall ist zwar davon auszugehen, dass alle Fahrzeuge des Typs
Tiguan aus der 1. Baureihe mit dem Dieselmotor EA 189 mangelbehaftet
sind.
(2) Die Nachlieferung ist aber durch die Überlassung eines
Fahrzeugs der aktuellen Baureihe des Tiguans, also des "Tiguan II",
mit dem anderen Motor möglich. Der Auffassung der Beklagten, dass die
Fahrzeuge der aktuellen Serienproduktion des Typs Tiguan einer
anderen Gattung angehören, kann nicht gefolgt werden. Eine Gattung
bilden alle Gegenstände, die durch gemeinschaftliche Merkmale (Typ,
Sorte, u.U. auch Preis) gekennzeichnet sind und sich dadurch von
anderen Gegenständen abheben. Über die Abgrenzung entscheidet der
Parteiwille (Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 243 Rn. 2). Im
Streitfall ist demnach die Regelung unter 6. der
Neuwagen-Verkaufsbedingungen der Beklagten, die unstreitig in den
Kaufvertrag mit einbezogen waren, zu berücksichtigen. Dort heißt es
u.a.: "Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton
sowie Änderungen des Lieferumfangs seitens des Herstellers während
der Lieferzeit bleiben vorbehalten, sofern die Änderungen oder
Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für
den Käufer zumutbar sind. Sofern der Verkäufer oder Hersteller zur
Bezeichnung der Bestellung oder des bestellten Kaufgegenstandes
Zeichen oder Nummern gebraucht, können allein daraus keine Rechte
begründet werden."
Der Motor des "Tiguan II" hat 10 kw mehr (140 kw statt 130 kw) und
erfüllt anstelle der EURO-Norm 5 die EURO-Norm 6. Weiterhin ist der
"Tiguan II", gegenüber dem "Tiguan I", wie aus dem von den Beklagten
eingereichten Artikel in der Zeitschrift Auto Motor Sport (Anlage B
10) ersichtlich, um einige Zentimeter größer, hat mehr Ladevolumen
und die technische Ausstattung und das Design wurden leicht
abgeändert. Diese Änderungen sind jedoch nicht so erheblich, dass man
davon ausgehen könnte, dass der "Tiguan II" einer eigenen Gattung
angehören würde. Der Vergleich der in der Anlage B 10 abgedruckten
Lichtbilder ergibt eindeutig, dass die Abweichungen optischer Art als
gering zu bewerten sind. Auch die technischen Veränderungen stellen
nur leichte Veränderungen dar und sind nicht erheblich. Die
Abweichungen sind gesamt als gering zu bewerten und wären dem Kunden
nach Ziffer 6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen zuzumuten, falls die
Volkswagen AG nach der Bestellung, aber vor der Auslieferung des
Fahrzeugs an den Kläger die Produktion des "Tiguan I" eingestellt und
auf den "Tiguan II" umgestellt hätte. Soweit die Beklagte darauf
verweist, der "Tiguan II" basiere auf einem neuen modularen
Querbaukasten, ist das unerheblich. Derartige technische Details sind
in aller Regel für einen Verbraucher, der sich einen Pkw kauft, nicht
von Bedeutung und ihm zumeist nicht einmal bekannt. Zudem
verpflichtet Ziffer 6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen den Käufer
gerade, auch Konstruktions- und Formänderungen hinzunehmen, sofern
diese für ihn zumutbar sind, was hier wie ausgeführt angesichts der
nur geringen optischen und technischen Veränderungen vorliegt.
bb) Die Beklagte ist auch nicht wegen Unverhältnismäßigkeit der
Kosten der Nachlieferung berechtigt, diese zu verweigern mit der
Folge, dass der Käufer nur noch Mangelbeseitgung verlangen könne, §
439 Abs. 3 BGB. Die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit erfordert
grundsätzlich eine umfassende Würdigung der in § 439 Abs. 3 BGB
genannten Umstände, also der Kosten der vom Käufer gewählten Form der
Nacherfüllung, des Werts der Sache in mangelfreiem Zustand, die
Bedeutung des Mangels und die Frage, ob die andere Art der
Nacherfüllung für den Käufer erhebliche Nachteile hätte.
Die Beklagte kann sich für die Unverhältnismäßigkeit der Kosten
der vom Kläger gewählten Nachlieferung aber nicht darauf berufen,
dass die Nachbesserung durch das Aufspielen des Software-Updates
Kosten von unter 100 Euro verursachen würde. Auf die zwischen den
Parteien streitige Frage, welche Kosten für das seitens der
Volkswagen-AG geplante Software-Update anfallen und ob das
Software-Update für den Kläger zumutbar wäre, kommt es nicht an. Denn
zum maßgeblichen Zeitpunkt im März 2016 war die Mängelbeseitigung
durch Nachbesserung in Form des Aufspielens eines Software-Updates
unstreitig nicht möglich, da das Software-Update noch nicht
aufgespielt werden konnte, da die Freigabe des Kraftfahrt-Bundesamts
erst im Juli 2016 erteilt wurde.
(...)
(2) Maßgeblich ist demnach die Sachlage spätestens zu dem
Zeitpunkt, als die Beklagte mit der Nachlieferung in Verzug geraten
ist, also der 08.03.2016. Die maßgebliche Software existierte zu
jenem Zeitpunkt noch nicht nicht bzw. hatte jedenfalls noch keine
Freigabe vom Kraftfahrt-Bundesamt.
Die vom Kläger gesetzte Frist zur Nacherfüllung durch
Nachlieferung zum 07.03.2016 war auch angemessen. Die Beklagte kann
sich nicht darauf berufen, dass der Kläger ihr zur Nacherfüllung eine
Frist bis zum Vorliegen des zu jenem Zeitpunkt bereits von der
Volkswagen-AG angekündigten Software-Updates hätte setzen müssen. Die
Setzung einer derart langen Frist ist für den Käufer auch unter dem
Gesichtspunkt, dass keine Gebrauchseinschränkung des Fahrzeugs
vorlag, unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der
"VW-Abgasskandal" bereits im September 2015 bekannt geworden ist und
der Kläger negative Auswirkungen auf den Marktpreis ernstlich
befürchten musste. Aus dem mit der Täuschung eingegangene
unternehmerische Risiko von Strafzahlungen, Schadensersatzklagen und
einem massiven, geschäftsschädigenden Imageverlust für die Volkswagen
AG konnte jedenfalls Anfang 2016 nur der Schluss gezogen werden, dass
es für die Ausgestaltung der Motorsoftware wichtige technische Gründe
gab und eine andere Lösung technisch gar nicht oder nur mit hohen
Kosten möglich sein würde (vgl. LG Hagen, Urteil vom 18.10.2016 -3 O
66/16, juris Rn. 65). Förden Kläger war Anfang 2016 noch weniger als
jetzt abschätzbar, ob und wann für sein Fahrzeug eine technische, vom
Kraftfahrt-Bundesamt akzeptierte Lösung gefunden werden würde und ob
und wann das über dem Fahrzeug schwebende Risiko des Verlustes der
Betriebserlaubnis und des Wertverlusts abgewendet werden kann.
c) Einen Anspruch auf Wertersatz für die vom Kläger gezogenen
Nutzungen nach § 439 Abs. 4, § 346 BGB hat die Beklagte nach §
474 Abs. 1, Abs. 5 BGB nicht. Bei dem Kläger handelt es sich
unstreitig um einen Verbraucher (vgl. Schriftsatz der Beklagten
vom 02.11.2016 S. 38, Band II d.A. S. 401)."
Bei der Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt
sich bundesweit um den Marktführer im VW Abgasskandal: mit mehr als
35.000 Geschädigten und mehr als 1.600 laufenden Klageverfahren
vetritt und berät die spezialisierte Kanzlei die meisten Betroffenen.
Rechtsanwalt Dr. Ralf Stoll teilt mit: "Es handelt sich um ein
weiteres Sensationsurteil. Der Kläger erhält ein neues Fahrzeug aus
der aktuellen Serienproduktion, ohne dass er für die bisherige
Nutzung seines manipulierten Fahrzeugs eine Entschädigung an den
Händler bezahlen muss. Wir führen bundesweit hunderte
Gerichtsverfahren, die auf Nachlieferung ohne Nutzungsentschädigung
gerichtet sind. Bei dem Urteil des Landgerichts Offenburg handelt es
sich um einen weiteren Meilenstein in der Rechtsprechung zum VW
Abgasskandal. Die Gerichte urteilen zunehmend verbraucherfreundlich."
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Datum: 21.03.2017 - 18:07 Uhr
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