Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar
Der private Nachhilfemarkt boomt
Chancengleichheit bleibt unerfüllt
Carolin Nieder-Entgelmeier
(ots) - Der private Nachhilfemarkt boomt
Chancengleichheit bleibt unerfüllt Carolin Nieder-Entgelmeier Auch
zehn Jahre nach dem Abi denke ich noch immer an die Verzweiflung im
Matheunterricht zurück. Mit jeder 5 manifestierte sich meine
Abneigung gegen das Fach, denn trotz Lernhilfen in der Familie und im
Freundekreis, wollte der Knoten, so formulierte es mein Lehrer,
einfach nicht platzen. Erst als Nachhilfeschülerin mit dem Ziel, ein
finales Versagen in der Abschlussprüfung und damit ein schlechtes
Abitur zu verhindern, gelang der erste Erfolg. Dank privater
Nachhilfe in kleinen Gruppen platzte der Knoten. Allerdings nur, weil
meine Eltern mir diese Chance finanziell ermöglichen konnten. Viele
Familien können das nicht. Im Schnitt investieren Eltern monatlich 87
Euro in Nachhilfe, um den Notenschnitt zu verbessern oder, um das
Sitzenbleiben zu verhindern. Kinder aus Familien, die diesen Betrag
am Ende des Monats nicht übrig haben, haben demnach weniger Chancen
auf schulischen Erfolg und damit auch beruflichen Erfolg. Verschärft
wird die Chancenungleichheit auch gesetzlich, das beweist ein Urteil
des Sozialgerichts Düsseldorf, wonach Jobcenter die Nachhilfekosten
für die Kinder von Hartz-IV-Empfängern nur dann übernehmen, wenn die
Versetzung gefährdet ist. Das Gericht wies die Klage einer Mutter ab,
die ihrer Tochter Nachhilfe für eine möglichst gute mittlere Reife
ermöglicht hat und die 2.000 Euro Nachhilfekosten ersetzt haben
wollte. Laut Gericht muss das Jobcenter dafür jedoch nicht aufkommen,
weil der Maßstab das Erreichen des Hauptschulabschlusses ist. Doch
ist dieser Maßstab noch zeitgemäß? Es gibt immer weniger
Ausbildungsberufe, für die der Hauptschulabschluss als
Zugangsvoraussetzung ausreicht. Der Trend im Ausbildungsmarkt zu
immer höheren Abschlüssen sorgt ebenso wie die steigende Zahl
zulassungsbeschränkter Studienfächer dafür, dass der Bedarf an
Nachhilfe steigt und damit das Einkommen von Eltern eine immer
größere Rolle für schulische und berufliche Erfolge von Kindern
spielt. Das Problem der Chancenungleichheit können die Schulen
demnach nicht alleine lösen. Doch erst dann, wenn Schule individuelle
Förderung so anbieten kann, dass alle Kinder, unabhängig ihrer
sozialen Herkunft, davon profitieren, kann von Chancengleichheit die
Rede sein. Das heißt jedoch nicht, dass die Zahlen der Abiturienten
und der Ausnahmeschüler weiter steigen sollen, denn die aktuelle
Schülergeneration ist nicht schlauer als andere. Auch das ist ein
Fehler im System, denn nicht alle Kinder haben die Voraussetzung, um
es bis zum Abitur zu schaffen.
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Datum: 07.03.2017 - 20:30 Uhr
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