25 Jahre Agrargenossenschaften: Von der LPG zum leistungsfähigen Mehrfamilienbetrieb
(ots) - "Große Hochachtung habe ich vor den Menschen
in der ehemaligen DDR, denn ihr Wille zur Freiheit war entschlossen
und kraftvoll. Ihr Aufbruch ins Ungewisse war verbunden mit der
großen Herausforderung, sich in kürzester Zeit auf eine ganz neue
Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung einzustellen. Davon
war die Agrar- und Landwirtschaft mit ihren gravierenden
Systemunterschieden besonders massiv betroffen", führte Manfred
Nüssel, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), bei der
Tagung "25 Jahre Agrargenossenschaften" in Halle aus. Nach den
Vorgaben des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes waren die
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) verpflichtet,
sich bis zum 31. Dezember 1991 aufzulösen oder umzuwandeln. Von den
rund 4.500 LPGen entschieden sich insgesamt 3.000 für eine
Umwandlung. 1.500 beschlossen, Landwirtschaft weiterhin kooperativ in
der Rechts- und Unternehmensform der eG zu betreiben.
Inzwischen hat sich die ursprüngliche Anzahl vorrangig durch
Fusionen, aber auch durch Rechtsformwechsel und Verkauf auf rund 900
Agrargenossenschaften reduziert. Heute betreiben sie durchweg
erfolgreich Landwirtschaft. In der Summe bewirtschaften die
Agrargenossenschaften rund 25 Prozent der landwirtschaftlichen
Nutzfläche in Ostdeutschland; in der Tierproduktion liegt ihr Anteil
noch deutlich höher. "Entscheidend für die Stabilität und
Leistungsfähigkeit dieser Mehrfamilienbetriebe sind ihre
unterschiedlichen Produktionsstandbeine. Zudem sichern sie eine
breite Streuung des Eigentums an Grund und Boden. Sie übernehmen
wichtige Aufgaben und Dienstleistungen in den oftmals
strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands und sind zugleich ein
Wachstumsmotor. Agrargenossenschaften schaffen und erhalten
zahlreiche Arbeits- und Ausbildungsplätze. Dazu trägt auch das
Förderprojekt "Berufswahl richtig angehen - frühzeitig orientieren"
der Raiffeisen-Stiftung bei. Tausende Schüler lernen in
Agrargenossenschaften das vielfältige Berufsfeld der Landwirtschaft
kennen und schätzen.
Ein politischer Dauerbrenner sind die Direktzahlungen im Rahmen
der EU-Agrarpolitik. "Der DRV lehnt Obergrenzen, Degression und
Kappung der Direktzahlungen entschieden ab. Wir werben bei den
Politikern um Unterstützung, wenn es um die Gemeinsame Agrarpolitik
nach 2020 geht und stellen den besonderen Charakter der
Agrargenossenschaften als Mehrfamilienbetriebe heraus, auch mit Blick
auf die jüngsten strukturpolitischen Diskussionen. Dabei geht es um
Fehlentwicklungen auf dem Bodenmarkt und das Vordringen von nicht
landwirtschaftlichen Investoren. In diesen Debatten werden
Agrargenossenschaften zu Unrecht mit fragwürdigen Investoren in einen
Topf geworfen oder gar als Türöffner bezeichnet", kritisierte Nüssel.
Zur Diskussion um die Milchlieferbeziehungen und das
Agrarmarktstrukturgesetz führte Nüssel aus, dass der DRV gesetzliche
und externe Vorgaben zur Änderung der Lieferbeziehungen zwischen
Erzeugern und Molkereien mit Nachdruck ablehnt. "Der über das
Genossenschaftsrecht bestehende Rechtsrahmen bietet den Mitgliedern
ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn es nach Beratungen in den
Molkereien zu Änderungen in den Lieferbeziehungen kommen sollte,
werden diese selbstverständlich respektiert und umgesetzt. Den
Milchmarkt wird das jedoch kaum beeinflussen", so Nüssel.
"Ich beglückwünsche die Agrargenossenschaften ausdrücklich dazu,
dass sie die wirtschaftlichen Widrigkeiten auf den Agrarmärkten
offensiv managen: Sie halten ihre Unternehmen stabil, behaupten die
Marktposition und erschließen neue Märkte sowie Geschäftsfelder, z.
B. im Bereich Erneuerbarer Energien. Ich gratuliere auch zu der
ungebrochenen Dynamik, mit der sie auf strukturelle Veränderungen
antworten: Rationalisierung, Kooperation, Fusion - das sind geeignete
Maßnahmen, um die Wirtschaftlichkeit zu sichern und im Wettbewerb
vorne zu bleiben", betonte Nüssel.
25 Jahre Agrargenossenschaften sind ein wichtiges Kapitel der
deutschen Wiedervereinigung. "Doch wir dürfen nicht ausblenden, dass
hierzulande die gesellschaftliche Akzeptanz moderner Landwirtschaft
ernsthaft gefährdet ist. Wir müssen die Gesellschaft bei unseren
Veränderungen und Fortschritten mitnehmen. Dazu dienen u. a. das
Engagement und Dialogangebot der Initiative Heimische Landwirtschaft
und des Forums Moderne Landwirtschaft. Wir benötigen ein neues,
tragfähiges Bündnis mit der Gesellschaft, um die Agrarbranche wieder
in die Mitte der Gesellschaft zu führen. Dazu können die
Agrargenossenschaften einen wesentlichen Beitrag leisten",
unterstrich der Raiffeisen-Präsident in Halle.
Über den DRV
Der DRV vertritt die Interessen der genossenschaftlich
orientierten Unternehmen der deutschen Agrar- und
Ernährungswirtschaft. Als wichtiges Glied der Wertschöpfungskette
Lebensmittel erzielen die 2.250 DRV-Mitgliedsunternehmen im Handel
und in der Verarbeitung von pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen
mit rund 82.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 61,7 Mrd. Euro.
Landwirte, Gärtner und Winzer sind die Mitglieder und damit
Eigentümer der Genossenschaften.
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Datum: 02.11.2016 - 11:29 Uhr
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