"Man sollte von Kleinoden, Preziosen oder Manufakturerzeugnissen sprechen"
(ots) - Chefredakteure und Medienunternehmer diskutieren bei
der Grosso-Jahrestagung 2016 über Chancen von
Special-Interest-Magazinen und Sportjournalismus
Der Bundesverband Presse-Grosso (BVPG) hat bei seiner Jahrestagung
in Baden-Baden am 13. und 14. September 2016 erfolgreichen Verlegern
und Chefredakteuren von Zeitschriften ein Podium gegeben. Christoph
Schwennicke, langjähriger Chefredakteur von "Cicero" und seit Mai
2016 Verleger des Debattenmagazins sowie der Zeitschrift "Monopol",
zog bei einer Diskussionsrunde zum Thema "Klein aber fein! Chancen
für Special-Interest-Magazine" eine positive Bilanz seiner
Selbstständigkeit: "Die ersten Monate sind wesentlich besser
gelaufen, als wir in unseren konservativen Plänen geglaubt haben. Für
den Moment sind wir glücklich." Dazu habe auch das anhaltende Plus
des monatlichen Magazins für politische Kultur im Einzelhandel
beigetragen.
In der von Claus Strunz, Geschäftsführer der TV- und
Video-Produktionen der Axel Springer SE, moderierten Diskussionsrunde
rief Schwennicke die Branche zu mehr Selbstbewusstsein auf. Schon die
Bezeichnung "Nischentitel" für Special-Interest-Magazine sei
irreführend: "Nische klingt wie eine dunkle Ecke, wo sich die
Wollmäuse jagen. Man sollte lieber von Kleinoden, Preziosen oder
Manufakturerzeugnissen sprechen."
Auch mit dem politischen Journalismus in Deutschland ging der
Verleger hart ins Gericht: "Kein anderes Ressort macht sein Sujet so
erfolgreich schlecht. Man muss Lust darauf machen." Von "Cicero"
erwarteten die Leser "Tiefe und Weite". Beiträge des Magazins, die
das einlösten, würden regelmäßig am meisten gekauft. "Wenn ich
''Cicero'' einen neuen Namen geben könnte, dann wäre es ''PolitikLust''",
sagte Schwennicke in Anspielung auf das erfolgreiche Magazin
"LandLust".
Auf wachsenden Zuspruch bei Leserinnen und Lesern verwies auch
Sinja Schütte, Chefredakteurin der Gruner + Jahr-Titel "Flow" und
"Living at Home": Mit "Flow" erreiche der Verlag viele Frauen, die
zuvor überhaupt keine Zeitschriften mehr gelesen hät-ten.
Entscheidend für den Erfolg des 2013 gestarteten, achtmal pro Jahr
erscheinenden Magazins sei das sinnliche Erlebnis durch Papier und
Haptik. So liegen dem Magazin etwa Skizzenbücher bei, die die
Leserinnen selbst ausfüllen können.
Schütte machte am Beispiel "Flow" auch deutlich, dass Print und
Digital keine Gegensätze sein müssen. Die Redaktion sei bei den
sozialen Netzwerken Facebook und Instagram sehr aktiv, weil auch die
Leserschaft des Magazins "digital unterwegs" sei. Für das Jahresende
kündigte die Chefredakteurin ein neues Produkt an, das sich um die
Freude am Lesen dreht. Eine Frequenzerhöhung bei "Flow" solle es
hingegen nicht geben, obwohl die Auflage weiter wachse. Sie liegt
bereits bei fast 110.000 verkauften Exemplaren, davon fast drei
Viertel über den stationären Pressehandel.
Auch Dr. Lucas von Bothmer, Chefredakteur von "Jäger" aus dem Jahr
Top Special Verlag, unterstrich die Stärke von Print. Ein Heft wie
"Jäger" müsse "nach Papier riechen": "Jagd findet im Wald statt und
ist ein analoges Erlebnis, die Leute sehnen sich nach Natur."
Nutzwert sei für seinen Titel zwar unerlässlich, aber nicht das
eigentliche Kaufmotiv, sondern nur ein "Feigenblatt" dafür: "Wir
verkaufen den Jägern Träume, die sie in ihrem Revier vielleicht
einmal erleben."
Digital sei für seine Zeitschrift eine Ergänzung, um sich von
Wettbewerbern abzuheben, sagte von Bothmer weiter. So plant der
Verlag, zum 1. Oktober eine Video-on-Demand-Plattform mit Jagdfilmen
für Käufer und Abonnenten des Magazins zu starten.
Heiteres und Nachdenkliches zum Sport-Business und zur eigenen
Profession sagte in Baden-Baden der Journalist, Moderator und
Medienunternehmer Gerhard Delling im Gespräch mit Claus Strunz. Bei
der Fußball-Europameisterschaft im Juni/Juli 2016 hätten viele
Zuschauer den Eindruck gehabt, die Veranstaltung zünde später als
sonst, beklagte Delling, der seit 29 Jahren in der ARD Sport
präsentiert. Er kritisierte die Men-ge der Spiele und die hohen
Gehälter vieler Spieler. "Man muss aufpassen, dass man die Schraube
nicht überdreht", appellierte er an die Fußball-Verantwortlichen.
"Ich will zum System Sport dazu gehören, bin aber nicht bereit,
alles gut zu finden", sagte Delling zur eigenen Rolle. "Hier und da
lege ich den Finger in die Wunde, bin aber auch Sportfreund". Delling
kritisierte in diesem Zusammenhang auch den Zustand des Journalismus:
"Es gibt noch Journalismus aber man muss suchen, zum Beispiel in
ausgewählten TV-Formaten. Wenn jemand kritisch rangeht, fällt das
auf." Der ARD-Moderator brach in Baden-Baden eine Lanze für die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkan-stalten: "Bei den
Öffentlich-Rechtlichen kann man machen, wovon man überzeugt ist, und
fliegt nicht raus." Delling bekannte sich dazu, großer Print-Fan zu
sein. Er lese jeden Tag mehrere Zeitungen und blättere gerne in
Magazinen. Seine Zeitungskolumne sei ihm wichtig.
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Datum: 16.09.2016 - 11:01 Uhr
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