Schwäbische Zeitung: Die Vielfalt kommt zu kurz - Leitartikel zu Vaterschaftstests
(ots) - Wer bin ich? Die Frage nach der eigenen
Identität spielt für den Menschen eine entscheidende Rolle. Wer nach
Jahren in einer Familie erfährt, dass es da noch die "richtigen"
Eltern gibt, will auch wissen, wer sie sind. Das
Bundesverfassungsgericht schränkt jetzt die Möglichkeiten der Klärung
solcher Fragen ein - lässt der Politik aber die Freiheit, selber zu
gestalten. Das ist auch dringend nötig.
Die Richter in Karlsruhe haben entschieden, dass Kinder ihren
mutmaßlichen leiblichen Vater nicht zu einem DNA-Test zwingen können,
wenn er nicht zur Familie zählt. Sie erteilten der Verfassungsklage
einer 65-Jährigen eine klare Absage, die einen fast 90 Jahre alten
Mann für ihren Erzeuger hält. Die Juristen warnen vor Tests ins Blaue
hinein und davor, dass der Familienfrieden der Verdächtigten aufs
Spiel gesetzt werden könnte. Ein Argument, das nicht von der Hand zu
weisen ist. Es ist vorstellbar, dass Familien an der Wahrheit
zerbrechen, wenn Lebenslügen plötzlich enthüllt werden.
Für Menschen, die im Unklaren über ihre eigene Herkunft sind, ist
das Urteil allerdings eine Enttäuschung. Familie, das ist in der
heutigen gesellschaftlichen Realität eben nicht mehr nur Vater,
Mutter, Kind. Die Vielfalt kommt bei der Entscheidung aus Karlsruhe
zu kurz.
Deshalb ist es gut, dass das Bundesverfassungsgericht gleichzeitig
dem Gesetzgeber den Ball zugespielt hat. Ein Arbeitskreis im
Bundesjustizministerium prüft die Möglichkeiten, das Abstammungsrecht
zu reformieren. Bis Mitte nächsten Jahres sollen Ergebnisse
vorliegen. Die Politik steht vor der enormen und wichtigen Aufgabe,
eine Rechtsprechung zu modernisieren, die auch veränderten
Lebenswirklichkeiten gerecht werden muss. Was ist mit Familien, in
denen der Vater nicht der Erzeuger der Kinder ist? Was ist mit
Kindern von Samenspendern, die mehr über ihre Herkunft wissen
möchten? Und wie sieht es bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
aus?
Für die Betroffenen geht es um zentrale Fragen. Daraus ergibt sich
für den Gesetzgeber eine besondere Verantwortung.
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Datum: 19.04.2016 - 18:48 Uhr
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