Weltkrebstag - Patienten profitieren von bahnbrechenden Entwicklungen der Immunonkologie / Möglicher Wandel von tödlicher Krankheit zu chronischem Leiden
(ots) - Die Krebsforschung erlebt eine sehr
aufregende Zeit: Mit personalisierten Therapien erreichen Mediziner
nie dagewesene Fortschritte bei der Behandlung ihrer Patienten. Dr.
Daniel Kalanovic, Medizinischer Direktor bei Pfizer Deutschland,
spricht im Interview mit Pharma Fakten über die jüngsten Erfolge und
dem möglichen Wandel der bisher häufig tödlichen Erkrankung zu einem
chronischen Leiden.
Was können wir von der Krebsforschung in diesem Jahr noch
erwarten?
Daniel Kalanovic: In der Krebsforschung erleben wir gerade eine
sehr aufregende Zeit. Wir sehen Behandlungsergebnisse, die noch vor
kurzem in dieser Form nicht vorstellbar waren. In den letzten Jahren
sind völlig neue Krebstherapien in die klinische Praxis gelangt. Ich
erwarte weitere bahnbrechende Entwicklungen. Denn die Ansätze aus der
Grundlagenwissenschaft, die in den letzten zehn bis 20 Jahren
entdeckt und erforscht wurden, werden momentan sehr erfolgreich
klinisch weiterentwickelt. Damals begannen Krebsforscher auf der
Basis neuer Erkenntnisse und neuer technischer Möglichkeiten, an
zielgerichteten Krebstherapien zu arbeiten. Das zahlt sich jetzt aus.
Können Sie Beispiele nennen?
Kalanovic: Immunonkologische Therapeutika stehen gerade besonders
im Fokus. Die Idee, das eigene Immunsystem gegen Tumore zu
aktivieren, wird schon seit Jahrzehnten verfolgt. Jetzt sehen wir,
dass sich die Anstrengungen und die Ausdauer gelohnt haben.
Immunonkologische Therapieansätze zeigen das Potenzial, selbst
schwere fortgeschrittene Krebserkrankungen zu kontrollieren und in
einigen Fällen sogar zu heilen. Die Entwicklung in diesem
Forschungsbereich läuft entsprechend auf Hochtouren.
Ein zweites Beispiel ist die zielgerichtete, an der Genetik von
Tumoren ausgerichteten Krebsmedizin. Nehmen wir das Beispiel
Leukämie: Eine seltene Leukämieerkrankung, die durch eine spezifische
Genmutation charakterisiert ist, führte bis zu Beginn der 2000er
Jahre bei der großen Mehrheit der Patienten innerhalb kurzer Zeit zum
Tod. Dank zielgerichteter Therapien kann diese Erkrankung
mittlerweile so kontrolliert werden, dass die Patienten heute eine
nahezu normale Lebenserwartung haben. Bedeutsame Verbesserungen gab
es in der jüngeren Vergangenheit auch bei bestimmten Formen von
fortgeschrittenem Lungen- und Brustkrebs, um hier nur einige
Beispiele zu nennen.
Mit personalisierten Therapien lassen sich bei vielen Patienten
das Tumorwachstum signifikant verzögern, die Krankheitssymptome
vermindern und die Lebensqualität deutlich verbessern. Das sind
Fortschritte, die für die Betroffenen einen echten Unterschied
machen. Ich bin davon überzeugt, dass personalisierte Ansätze auch in
Zukunft entscheidend zu einer Verbesserung der Therapiesituation
beitragen werden - eine Entwicklung, die sich durch neue
Diagnostikmethoden und Kombinationstherapien, auch mit
Immunonkologika, weiter beschleunigen wird.
Wird es spürbare Sprünge oder eher Trippelschritte geben?
Kalanovic: Sowohl als auch. Neben Sprunginnovationen - besonders
in der Immunonkologie und zielgerichteten Therapie - ist auch mit
sogenannten Schrittinnovationen zu rechnen. Dieser Mix aus Schritt-
und Sprunginnovationen ist es, der realen medizinischen Fortschritt
ausmacht. Ein gutes Beispiel ist fortgeschrittener Nierenkrebs, eine
Erkrankung, die lange Zeit letztlich als nicht behandelbar galt. Nach
Einführung eines neuen medikamentösen Ansatzes in dieser Indikation
im Jahr 2006 kamen in den Folgejahren sukzessive neue ergänzende
Therapien hinzu. Einzeln betrachtet mögen diese Neueinführungen von
Außenstehenden als "Trippelschritte" gewertet werden. Für Experten
und vor allem für betroffene Patienten bedeuten sie in ihrer
Gesamtheit jedoch viel: Sequenziell, nacheinander im Rahmen eines
individuellen Therapieplans eingesetzt, führen sie in vielen Fällen
zu einer "Chronifizierung" der Erkrankung - heute durchaus ein
häufiges Therapieergebnis in der klinischen Praxis, das vor 2006 nur
in Einzelfällen zu sehen war.
Schrittinnovationen bringen meist eine Lebensverlängerung mit
sich. Jetzt sagen die Kritiker, dass dies allerdings auf Kosten von
der Lebensqualität der Patienten geschieht. Darf man beides
gegeneinander aufrechnen?
Kalanovic: Auf keinen Fall: Die Lebensqualität der Patienten ist
bei der Entwicklung neuer Medikamente neben der Sicherheit und der
Wirksamkeit der Präparate für uns ein zentraler Parameter. Nur
Neuentwicklungen, die in der Abwägung dieser Faktoren ein Gewinn für
die Patienten sind, haben eine realistische Erfolgsaussicht, auf den
Markt zu gelangen und sich dort durchzusetzen.
Es gibt Stimmen, die sagen: Das Arsenal entwickelt sich zu
schnell. Ist die Geschwindigkeit Chance oder ein Risiko?
Kalanovic: Die Bedenken kann ich nachvollziehen, ich bin aber
überzeugt, dass eine schnelle Entwicklung und ein schneller Zugang
der Patienten zu neuen und besseren Medikamenten letztlich mehr
Chancen bieten. Grundlage dieser Einschätzung ist für mich das
Zulassungsverfahren, in dem geprüft wird, ob eine nachgewiesene
Wirksamkeit eines Medikaments in einem positiven Verhältnis zur
Sicherheit und Verträglichkeit steht. Das ist unabhängig davon, wie
schnell eine Zulassung erfolgt. Man darf nicht vergessen: Trotz aller
Fortschritte in den letzten Jahren können heute tausende
Krebspatienten immer noch nicht adäquat behandelt werden. Sie hoffen
auf wirksame und bessere Therapieoptionen.
Wie läuft es mit den Daten aus der Praxis. Kommen Erkenntnisse aus
der Anwendung ausreichend beim Hersteller an? Welchen Stellenwert
oder welchen Einfluss haben diese auf die Weiterentwicklung?
Kalanovic: Der kontinuierliche Kontakt zu Ärzten und zur
klinischen Praxis ist unverzichtbar. Einerseits geht es dabei um
Sicherheitsaspekte, zum Beispiel um das Erfassen und Melden von
Nebenwirkungen unserer Medikamente. Andererseits hilft uns der
permanente Austausch mit Ärzten dabei, die Bedingungen, in denen
unsere Medikamente eingesetzt werden, besser zu verstehen. Dieses
Wissen nutzen wir im Rahmen unserer Möglichkeit dazu, den Einsatz der
Medikamente zu verbessern. Ein Beispiel ist hier die Optimierung des
Managements von Therapien, was besonders in der onkologischen Praxis
sehr relevant ist. Darüber hinaus ist dieses Wissen auch von
zentraler Bedeutung für unsere Forschungs- und Entwicklungsprojekte,
die wir konsequent an dem medizinischen Bedarf in der klinischen
Realität ausrichten.
Britische Forscher haben vor einem Jahr angekündigt, dass alle
Krebsarten bis 2050 heilbar sein sollen. Gesetzt den Fall, dass
Prävention und Behandlung so weiter gehen wie heute. Wo sehen Sie den
derzeitigen Stand der Forschung?
Kalanovic: Frühzeitig entdeckt, sind bereits heute viele
Krebserkrankungen heilbar. Anders sieht es allerdings im
fortgeschrittenen Stadium aus, wenn der Krebs Metastasen gebildet und
gestreut hat. In dieser Situation herrscht bei fast allen Krebsarten
nach wie vor ein enormer Bedarf an verbesserten Therapien. Umso
positiver sind die aktuellen Entwicklungen zu bewerten. Ich bin davon
überzeugt, dass wir es in der Zukunft schaffen werden,
Krebserkrankungen zu heilen oder zumindest langfristig bei guter
Lebensqualität für die Patienten zu kontrollieren. Die Forschung kann
es aber nicht alleine richten. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe
aller Beteiligten.
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Datum: 04.02.2016 - 07:30 Uhr
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