Doppel-Olympiasiegerin Rosi Mittermaier-Neureuther: "Wenn Werte im Sport nichts mehr zählen, ist das der Tod für Olympische Spiele"
(ots) - Vor 40 Jahren, am 8. Februar 1976,
gewinnt Rosi Mittermaier bei den Olympischen Winterspielen in
Innsbruck Gold im Abfahrtslauf. Drei Tage später, am 11. Februar,
folgt Gold im Slalom, und am 13. Februar Silber im Riesenslalom -
"Gold-Rosi" war geboren. Im Sporthilfe-Interview äußert sich die
Doppel-Olympiasiegerin und Mitglied der "Hall of Fame des deutschen
Sports" über die anstehenden Olympischen Jugend-Winterspiele, das
Risiko auf der Streif-Abfahrt und erklärt, warum es für sie bei
Olympia nicht in erster Linie um Medaillen geht.
Deutsche Sporthilfe: In Lillehammer starten am 12. Februar die
zweiten Olympischen Jugend-Winterspiele. Was sind Ihre Gedanken zu
diesem Wettbewerb?
Rosi Mittermaier-Neureuther: Der damalige IOC-Präsident Jacques
Rogge kam früher mehrmals auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich
diese Idee befürworten würde. Ich habe ihm immer gesagt, dass ich das
ganz toll finde und er hat es dann letztendlich ins Leben gerufen. Es
ist eine internationale Zusammenkunft, die nicht so sehr auf
sportliche Erfolge, sondern eher auf die Gemeinsamkeit und den Spaß
am Sport abzielt, worum es ja bei Olympischen Spielen gehen sollte.
Diese Idealvorstellung ist dort heute leider nicht durchzusetzen,
deswegen finde ich eine solche Veranstaltung im Jugendbereich sehr
wichtig.
Deutsche Sporthilfe: Wie haben sich das Leben der Athleten und der
Leistungssport an sich im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit verändert?
Rosi Mittermaier-Neureuther: Die Leidenschaft und die Begeisterung
der jungen Sportler sind nach wie vor da. Natürlich läuft heute alles
professioneller ab, aber prinzipiell hat sich da nicht viel
gewandelt. Was sich für die Sportler zum Positiven verändert hat,
sind die einzigartigen Möglichkeiten, sich untereinander zu
vernetzen. Sie können eigene Projekte starten, Toleranz fördern,
Erfahrungen in anderen Bereichen sammeln. Das ist doch das Tolle:
Sport kann für viele Dinge ein Ventil sein. Viele Leute erkennen das
heute aber nicht mehr, weil nur noch auf die Finanzen und
Top-Platzierungen geachtet wird. Da muss ich auch das IOC anprangern.
Die Vergabe der Winterspiele an Orte wie Sotschi, Pyongchang oder
Peking zum Beispiel, das ist schrecklich. Bei den Olympischen Spielen
sollten Werte, Nachhaltigkeit und Fairplay im Mittelpunkt stehen und
nicht das Geld und die Medaillen. Ob da einer im Slalom eine
Tausendstelsekunde schneller fährt als der andere, das ist doch am
Ende egal. Wenn ich mit jemandem über die Olympischen Spiele rede und
derjenige fragt mich als Erstes: "Was glaubst du, wie viele Medaillen
wir holen?", dann denke ich mir: "Wo ist der Sport hingekommen?" Ich
glaube, das war zu meiner Zeit noch nicht so krass. Wenn das in der
Art weitergeht, wenn Werte im Sport nichts mehr zählen, ist das der
Tod für die Olympischen Spiele.
Deutsche Sporthilfe: Ihr legendärer Doppel-Olympiasieg von
Innsbruck liegt jetzt fast genau 40 Jahre zurück. Welche Erinnerung
haben Sie an diese Tage?
Ich kann natürlich immer noch genau sagen, wo die Tore beim Rennen
standen. Das waren einfach Wettkämpfe, die einem ganz besonders im
Gedächtnis bleiben. Aber die schönsten Erinnerungen habe ich noch an
die Eröffnungs- und Abschlussfeier der Spiele. Die konnte ich einfach
mehr genießen als die Siegerehrung nach dem Wettkampf. Das war immer
eine ganz spezielle, tiefgehende Atmosphäre. Nicht nur in Innsbruck,
sondern bei allen Spielen, an denen ich teilnehmen durfte. Besonders
in Erinnerung geblieben ist mir, als ich bei der Schlussfeier in
Innsbruck die deutsche Flagge trug und neben Ulrich Wehling, dem
Fahnenträger der DDR, lief. Ich wollte mich eigentlich bei ihm
einhaken, um ein Zeichen zu setzen. Leider hatte ich am Ende doch
nicht den Mut dazu. Ich bin aber heilfroh, dass ich bei diesen
Ereignissen dabei sein durfte. Heute können viele Sportler bei den
Eröffnungs- und Abschlussfeiern wegen dem straffen Programm nicht
dabei sein. Unser Sohn Felix hat zum Beispiel die Eröffnungsfeier in
Sotschi verpasst, weil es vor Ort keine geeigneten
Trainingsmöglichkeiten gab und er noch nicht angereist war, weil die
Trainingssteuerung den Fokus nur auf die optimale Leistung legt. So
etwas finde ich sehr schade.
Deutsche Sporthilfe: 2016 jährt sich nicht nur der doppelte
Olympiasieg und Ihr Weltcupgesamtsieg zum 40. Mal, sondern auch der -
für viele überraschende - Rücktritt vom aktiven Sport. Muss man
wirklich aufhören, wenn es am schönsten ist?
Rosi Mittermaier-Neureuther: Nein, muss man nicht. Ich war aber
schon 25, das war für eine Skifahrerin damals einfach alt. Ich habe
mit 16 angefangen, im Weltcup zu fahren und war fast zehn Jahre
aktiv. Wir haben ja als Amateursportler nichts verdient, deswegen
musste ich in diesem Ski-Alter einfach schauen, dass ich die Türen
zur Gründung einer Existenz öffne und habe deshalb mit dem
Leistungssport aufgehört. Für mich ist dieser Aspekt übrigens auch
der wichtigste Arbeitsbereich der Deutschen Sporthilfe, nämlich
gerade den jungen Athleten neben dem Sport Berufsmöglichkeiten für
die Zukunft aufzuzeigen und zu vermitteln.
Deutsche Sporthilfe: In letzter Zeit wird viel über die
Verletzungsgefahr im alpinen Skisport diskutiert, insbesondere über
die legendäre Streif-Abfahrt in Kitzbühel. Haben Sie selbst Bedenken,
wenn Ihr Sohn Felix an den Start geht?
Rosi Mittermaier-Neureuther: Das Risiko im alpinen Skisport ist
zurzeit am absoluten Limit angelangt oder schon darüber. Das gilt für
fast alle Disziplinen, besonders in der Abfahrt. Ich glaube, wenn die
weltbesten Skifahrer teilweise keine Chance mehr haben, ohne
gravierende Probleme runterzukommen, weil die Sicht so schlecht oder
die Kompression zu stark ist, wie auf der Streif, dann schießt man
übers Ziel hinaus. Für Skirennfahrer ist es leider schon fast
alltäglich, sich zu verletzen. Das darf einfach nicht sein.
Deutsche Sporthilfe: Für Ihr gesellschaftliches Engagement haben
Sie 2001 die Goldene Sportpyramide verliehen bekommen. 2006 wurden
Sie außerdem in die "Hall of Fame des deutschen Sports" aufgenommen
und sind dort bislang neben Willy Bogner die einzige Ski
alpin-Sportlerin. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
Rosi Mittermaier-Neureuther: Das sind für mich sehr hohe
Auszeichnungen. Gerade, dass ich die Goldene Sportpyramide als zweite
überhaupt entgegen nehmen durfte, war eine große Ehre. Mir geht es
bei diesen Veranstaltungen aber weniger um die Preisträger, sondern
darum, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Es sind viele da, die die
Deutsche Sporthilfe und damit die Athleten selbst unterstützen. Mit
solchen Veranstaltungen und Preisverleihungen kann man ganz wunderbar
das rüberbringen, worum es im Sport geht. Es ist ja auch schön zu
sehen, wenn jemand gewürdigt wird, der für Fairness und Toleranz
steht. Die Medien veröffentlichen ja sonst viel Negatives, deswegen
ist es umso schöner, wenn man auf diese Weise positive Schlagzeilen
schreiben kann. Die junge Generation kann das jetzt auch über
Netzwerke wie Facebook teilen und so noch mehr darauf aufmerksam
machen. Das ist eine wirklich gute Sache.
Zur Person:
Rosi Mittermaier-Neureuther (* 5. August 1950 in Reit im Winkl)
Die "Gold-Rosi" von Innsbruck 1976: In allen drei alpinen
Skiwettbewerben einer Winter-Olympiade eine Medaille, darunter zwei
goldene in Abfahrt und Slalom - keine andere alpine Skiläuferin hatte
dies vor 1976 erreicht. Im gleichen Jahr wurde Rosi
Mittermaier-Neureuther Weltmeisterin in der Kombination und
Gesamtweltcupsiegerin. Die Fachjournalisten wählten sie zur
"Sportlerin des Jahres". Seither ist sie als "Gold-Rosi" bekannt.
Doch nicht allein der sportliche Erfolg stempelt Rosi
Mittermaier-Neureuther, zum Idol. Vielmehr zeichnen dafür auch das
Charisma ihrer Gesamtpersönlichkeit und das von gesellschaftlichem
Engagement gekennzeichnete Leben nach der Karriere verantwortlich.
Mittermaier-Neureuther widmet sich intensiv dem Charity-Gedanken. Sie
ist Schirmherrin der Kinder-Rheuma-Stiftung, Botschafterin des
Europäischen Parlaments für Sport, Toleranz und Fairplay und
engagiert sich für organtransplantierte Kinder beim Verein
Kinderhilfe Organtransplantation. Aufgrund ihrer Verdienste im
sportlichen wie im sozialen Bereich wurde Rosi Mittermaier-Neureuther
2001 von der Deutschen Sporthilfe mit der "Goldenen Sportpyramide"
ausgezeichnet und 2006 in die "Hall of Fame des deutschen Sports"
aufgenommen.
Mehr Informationen unter www.hall-of-fame-sport.de
Die Fragen stellte Michael Bächle.
Abdruck honorarfrei. Quelle: Deutsche Sporthilfe
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