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Reizloser Reizdarm / Darmnerven von Reizdarmpatienten sind wenig sensibel

ID: 1302361


(ots) - Erstmals wurde an Biopsien von Reizdarmpatienten
nachgewiesen, dass die Nerven ihrer Darmwand kaum auf einen
Entzündungscocktail reagieren. Dies widerlegt die bisherige These,
Reizdarmpatienten hätten einen besonders sensiblen und leicht
reizbaren Darm. Die neue Studie von TUM-Wissenschaftlern ist in
Kooperation mit mehreren deutschen Kliniken entstanden.

Das Reizdarmsyndrom quält rund zehn bis 15 Prozent der Menschen in
den Industrieländern. Die Erkrankung geht mit typischen Symptomen wie
Bauchweh, Blähungen oder Unregelmäßigkeiten beim Stuhlgang einher.
Lange war gemutmaßt worden, dass es eine psychosomatische Störung
ist, die durch Stress ausgelöst wird. Eine eindeutige Therapie für
betroffene Patienten gibt es bislang nicht, lediglich für einzelne
Symptome. Unumstritten ist inzwischen jedoch, dass es sich um eine
organische Erkrankung handelt. Die vielfältigen Ursachen sind
allerdings mit heutigen Messmethoden im Praxisalltag noch nicht
nachweisbar ist. Eine neue Studie - veröffentlicht in "Frontiers in
Neuroscience" - belegt nun erstmals, dass es zu messbaren
Veränderungen an den Nerven der Darmwand von Reizdarmpatienten kommt.

Nervensensibilisierung kann ausgeschlossen werden

"Eine mögliche Ursache der Symptome bei einer Gruppe von
Reizdarmpatienten ist eine erhöhte Ausschüttung von Botenstoffen",
sagt Professor Michael Schemann vom TUM-Lehrstuhl für Humanbiologie.
"Die unter anderem bei entzündlichen Prozessen eine Rolle spielen."
Basierend auf früheren, eigenen Studien postulierten die TUM Forscher
daher eine Sensibilisierung der Nerven in der Darmwand von
Reizdarmpatienten. Die Forscher haben deshalb die Reaktion an
Biopsien von Reizdarmpatienten sowie gesunden Probanden einerseits
auf elektrische Stimulation sowie auf Nikotin überprüft. Beides sind
etablierte Methoden, um die Ansprechbarkeit der Darmnerven zu testen:




Elektrische Stimulation führt zur synaptischen Übertragung, während
Nikotin direkt die Darmnerven aktiviert. Erstaunlicherweise
reagierten bei diesen Tests die Nerven beider Gruppen vergleichbar,
so dass eine generelle Nervensensibilisierung ausgeschlossen werden
kann.

Verblüffendes Ergebnis: Ein Reizdarm ist wenig sensibel

Andererseits wurde ein Entzündungscocktail mit Histamin,
Proteasen, Serotonin und TNF-alpha verabreicht, um das Milieu in der
Darmwand der Reizdarmpatienten zu simulieren und die Reaktion darauf
zu untersuchen. Diese Tests förderten verblüffende Ergebnisse zutage:
"Genau das Gegenteil unserer anfänglichen Vermutung war der Fall: Die
Nerven der Reizdarmpatienten haben signifikant schwächer auf die von
uns verabreichten Cocktails reagiert als die Biopsien der gesunden
Probanden", sagt Professor Schemann. "Die Darmwand dieser Patienten
ist offenbar desensibilisiert durch eine ursprünglich zu starke
Aktivierung. Das kann eine Schutzmaßnahme sein, um eine Überreizung
zu vermeiden."

Um diese Schlussfolgerung zu verifizieren, wurden Darmnerven für
mehrere Stunden einer Reizung ausgesetzt. Das Ergebnis: "Sind die
Nerven die ganze Zeit gereizt, regeln sie die Reaktion quasi
herunter", erklärt Schemann, der seit Jahren das Reizdarmsyndrom
erforscht und betont, dass dies aufwändige experimentelle
Untersuchungen seien, weit entfernt von Routine-Diagnosemethoden. "Es
bleibt offen, wie die beobachtete Desensibilisierung der Nerven auf
ganz bestimmte Botenstoffe die eigentlichen Symptome verursacht und
ob dieses Phänomen neue Therapieoptionen eröffnet".

Zwar beweisen die Untersuchungen eine verminderte Reaktion auf
einen Entzündungscocktail, schließen aber eine mögliche
Sensibilisierung durch andere Stoffe nicht aus.

Die Studie wurde möglich durch die Mitarbeit der Teams von
Professor Ewert Schulte-Frohlinde vom Klinikum Freising, Professor
Christian Pehl vom Krankenhaus Vilsbiburg, Professor Manfred Kurjak
der Gastroenterologischen Fachpraxis in München, Professor Thomas
Frieling vom Helios Klinikum Krefeld und Professor Paul Enck vom
Universitätsklinikum Tübingen.

Publikation:

Reduced responses of submucous neurons from irritable bowel
syndrome patients to a cocktail containing histamine, serotonin, TNF
and tryptase (IBS-cocktail). Front. Neurosci. Nov. 2015 doi:
10.3389/fnins.2015.00465



Kontakt:
Prof. Dr. Michael Schemann
Technische Universität München
Lehrstuhl für Humanbiologie
Tel: +49 (0)8161/ 71-5483
schemann(at)mytum.de


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Datum: 21.12.2015 - 09:11 Uhr
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