Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Frankfurter Buchmesse
(ots) - Die Zeit rennt, der Mensch rennt hinterher,
eilig wischt er übers Smartphone: Her mit den Nachrichten! Bitte,
hier sind sie: 13,4 - 12,8 - 4,3. Für die nicht ganz so Eiligen, für
die Analog-Apostel: Das sind, in Prozent, die Wachstumsraten des
E-Books von 2013 auf 2014 und auf 2015. Es geht abwärts. Die
letzte, die kleinste Zahl gibt den stagnierenden Anteil der E-Books
am deutschen Gesamtmarkt an. Dahinter verbergen sich die
Digital-Junkies, die alles, auch ihre Lektüre, im Netz kaufen und
damit nicht unwesentlich zum Sterben des Einzelhandels, zur Verödung
der Innenstädte beitragen. Buchhändler und Verlage müssen angesichts
ihrer großen Leistungsschau, der Buchmesse in Frankfurt, nicht
verzagen. Den Angstschweiß haben sie sich schon vor Jahren von der
Stirn gewischt, als der Markt ihnen signalisierte, dass das gedruckte
Buch keineswegs tot ist, wie voreilig behauptet wurde, und der
Elektro-Text ein Nischenprodukt bleiben wird. Die Branche hat ein
anderes Problem: den Deutschen Buchpreis. Da glaubt eine Oberjury
aus Funktionären und Bankern, sie sei qualifiziert, Fachjuroren zu
berufen, die den besten Roman auswählen. In dieser Jury sitzt
dann nur ein einziger erfahrener Literaturkritiker von Rang. Die
anderen sind fachfremd oder Quereinsteiger. Gut, es hätte schlimmer
kommen können: Die Jury in Osnabrück, die den Remarque-Friedenspreis
vergibt, weiß gar nicht, was ihr Preisträger, ein syrischer
Assad-Claqueur, überhaupt so schreibt. Und in Frankfurt ist man
haarscharf an einer Historienschmonzette über eine Cousine von Queen
Elizabeth I. vorbeigeschrammt. Das muss uns doch erschrecken. Es
gibt noch ein zweites Problem, aber das hat nicht die deutsche
Buchbranche, das haben ihre indonesischen Gäste. Frankfurt könnte
sogar einen Anstoß zur Lösung dieses Problems geben: Noch immer sind
die Massaker von 1965 nicht aufgearbeitet, die Massenmorde des
Generals Suharto. Der Staat fasst das heiße Eisen nicht an, aber die
Zivilgesellschaft beginnt mit der Recherche. In vorderster Front
diejenigen, die sich trauen, den Mund aufzumachen, und das sind
überall auf der Welt die Schriftsteller. Wir dürfen gespannt sein,
was Ayo Utami, Laksmi Pamuntjak & Co. in Frankfurt dazu sagen werden.
Es gibt noch ein Ärgernis, aber nur ein kleines: »Nullnummer«,
Umberto Ecos Abrechnung mit der Lügenpresse, ging voll daneben. Das
aber können Sie verschmerzen, denn 2014 wurden bei uns
87 134 neue Bücher geschrieben. Vertrauen Sie Jonathan Franzen,
der in den USA Nr. 87 135 verfasst hat (»Unschuld«): Er sagt,
dass die unzähligen Stunden, die Sie mit Smartphone-Wischen,
140-Zeichen-Gezwitscher und Gesichtsbuch-Gewese verbringen, später
in Ihrer Erinnerung und damit in Ihrem Leben fehlen werden. Ein Buch
vergessen Sie nie.
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Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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Datum: 13.10.2015 - 21:30 Uhr
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