Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Claus-Dieter Wotruba zum Blatter-Rücktritt
(ots) - Na also, geht doch! Man möchte losjubeln und
vor Freude auf den nächsten Fußballplatz laufen, wie es Trainer Bruno
Labbadia nach dem Klassenerhalt seines Hamburger SV in der Bundesliga
getan hat. Die fünfte Amtsperiode von Sepp Blatter hat vier Tage
gedauert. Vier Tage, nicht vier Jahre! Vier Tage haben den
Blickwinkel Blatters so verändert, dass er Konsequenzen zog. Wir
haben erlebt, wie ein Papst von seinem Amt zurücktritt. Lange schien
es ausgeschlossen, dass ein Mann vom Typus eines Sepp Blatter auf
eine ähnliche Idee kommen könnte, die in der Kirche alle 482 Jahre
einmal Realität wird. Und mit Verlaub: Auch wenn seine Anhänger ihm
einen Heligenschein verpassten, auch wenn Auftritte des Fifa-Chefs
den Eindruck erweckten, er hätte den Stellenwert aller mächtigsten
Staatschefs dieser Erde zusammen - Sepp Blatter war nichts anderes
als der simple Chef eines simplen Sportverbandes. Eigentlich
verbietet es sich von selbst, ihn mit einer Figur wie der des Papstes
zu vergleichen. Doch die Bedeutung des Fußballs ist längst überhöht.
Netter Aspekt am Rande: Passenderweise hat genau das der jetztige
Papst Franziskus, der Nachfolger des zurückgetretenen Benedikt,
unlängst auch so ähnlich formuliert. Dass ein Blatter tatsächlich aus
dem Grund zu seinem Entschluss kam, weil er fühlte, dass er sein
Mandat nicht mehr von der Gesamtheit des Fußballs bekäme - so wie er
es in Zürich verbreitete - das kann es wahrlich nicht gewesen sein.
Dass ihm weite Teile der Fußballwelt, vor allem der europäischen
Fußballwelt, dieses Mandat längst entzogen hatten, musste selbst dem
Sonnenkönig sonnenklar sein. Und zwar vor der Wahl. Ob wir jemals die
genauen Hintergründe des Schritts erfahren, ist zu bezweifeln. Eine
Tragik, wie sie DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sieht, ist hinter
diesem Glücksfall jedenfalls keinesfalls zu vermuten. Vielleicht
hören wir in den nächsten Tagen (oder Monaten), dass dieser oder jene
Vorwurf eben doch in Zusammenhang mit dem Namen Blatter fällt.
Vielleicht hat dieser oder jener Sponsor gegenüber dem
Fußball-(All)Mächtigen doch mächtiger auf den Putz gehauen als es je
bekannt wird. Vielleicht aber haben auch die Boykottgedanken - trotz
aller deutschen Zögerlichkeit - für mehr Wirbel gesorgt, als man
meinen möchte. Zugegeben, das ist Stochern im Nebel und es sind
Mutmaßungen. Doch die blanke Einsicht und pure Fußballliebe kann den
Machtmenschen Joseph S. Blatter alleine nicht getrieben haben. Er
konnte wohl nicht anders, irgendwoher kam eine Pistole auf seiner
Brust. Das war auch gut so. Blatter bekommt nebenbei die Hand
gereicht für einen guten Abgang - wie ein Dopingsünder, den man
vorwarnt und der zurücktreten kann, ohne je offiziell belangt worden
zu sein. Blatter bleibt also bis zum außerordentlichen Fifa-Kongress
"zum nächstmöglichen Zeitpunkt" im Amt, "um die Reformen frei von
Einschränkungen voranzutreiben", die er als Präsidentschaftskandidat
angeblich ja nicht forcieren konnte. Sehr witzig. Wer freilich ein
Autokorso starten möchte zur Rücktrittsfeier Blatters, der sei
gewarnt. Es gilt den Spruch zu widerlegen, dass selten Besseres
nachkommt. Eine Person allein durchdringt den weltweiten
Fifa-Dschungel schwerlich. Es wird spannend sein zu sehen, ob ein
Domenico Scala mehr als ein Blatter-Helfer ist. Bei den Trainern ist
es ja nicht selten so, dass sie bleiben dürfen, wenn sie sich
bewähren. So ist mancher Stern aufgegangen. Dem Fußball ist zu
wünschen, dass solch ein Stern aufgeht: Ein Stern, der Integrität
ausstrahlt. Der 2. Juni 2015 ist die Chance für einen Neuanfang. Auf
dass pure Fußball-Emotionen, wie sie HSV-Trainer Labbadia zeigte, in
die richtigen Bahnen gelenkt werden.
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