philoro Experteninterview mit Herrn Prof. Dr. Gunther Schnabl:
Die EZB hat den Leitzinssatz auf ein historisch niedriges Niveau herabgesetzt und gleichzeitig ein Anleihekaufprogramm von 1,1 Billionen initiiert. Die Inflation müsste jetzt doch riesige Blüten treiben. Warum kommt die Inflation nicht spürbar beim Bürger an?
(IINews) - Schnabl: Was wir derzeit beobachten ist ein Inflationsanstieg, nicht bei Konsumgütern, jedoch bei den Vermögenswerten. Die Preise für Aktien, Immobilien, zum Teil auch von Rohstoffen und Gold steigen stark an. Dies wird jedoch von der Zentralbank im Konsumentenpreisindex, der Grundlage für die Geldpolitik ist, nicht gemessen. Speziell auf Deutschland bezogen sind es derzeit vor allem der Aktien- und der Immobilienmarkt, wo wir einen sehr starken Preisanstieg beobachten. Über die Exzesse auf den Vermögensmärkten kommen die negativen Effekte der ultra-lockeren Geldpolitik auch ohne Inflation beim Bürger an.
philoro: Wir können also nicht von einem nachhaltigen Konjunkturaufschwung reden, da das viele EZB-Geld lediglich die Preise von Vermögenswerten aufbläht?
Schnabl: Es gibt ganz klar einen Strukturbruch in der Transmission der Geldpolitik. Traditionell gehen wir davon aus, dass die Zentralbank den Geschäftsbanken zusätzliche Kredite zur Verfügung stellt. Dieses erhöhte Kreditvolumen wird dazu genutzt, Investitionen von Unternehmen zu finanzieren oder Konsumentenkredite zu vergeben. Verzögert steigen Löhne und Preise.
Heutzutage scheint es jedoch so zu sein, dass das zusätzliche Kreditvolumen, das den Banken gewährt wird, eher im Finanzsektor verbleibt und vermehrt in Vermögenswerte fließt. Es werden zum Beispiel mehr Immobilienkäufe finanziert, so dass die Immobilienpreise steigen. Auch die Aktienpreise schießen nach oben, es entstehen Preisblasen. Beide Entwicklungen schlagen sich nur sehr bedingt auf die Konsumentenpreise nieder oder nur sehr spät. Weil die Zentralbank deshalb das Kreditvolumen nur sehr spät verknappt, können sich große Spekulationsblasen auf den Vermögensmärkten bilden. Wenn diese platzen, kommt es zu großen Krisen, ohne dass je die Konsumentenpreise angestiegen sind.
philoro: Was ist die Ursache dieses Bruchs, dass das billige Geld in Vermögenspreise wandert und nicht in z.B. Unternehmenskredite oder Start-up-Finanzierungen?
Schnabl: Darüber kann ich nur spekulieren. Aus meiner Sicht besteht ein unterschiedlicher Versicherungsmechanismus gegen Risiken. Wenn Sie als Unternehmen einen Kredit bei einer Geschäftsbank aufnehmen, um eine Investition zu finanzieren, dann tragen Sie als Unternehmer und indirekt auch die Bank das Risiko. Scheitert die Investition, dann muss der Unternehmer die Verluste verkraften, was für die Bank bis zum Kreditausfall führen kann.
Investieren Sie im Gegensatz dazu in die Finanzmärkte, also in Aktien oder Immobilien, dann greifen die Sicherheitsmechanismen der EZB, wenn eine Krise droht. Die Leitzinsen werden sofort gesenkt oder Vermögenswerte direkt angekauft, wenn die Vermögenspreise fallen. Man weiß also, dass, wenn man in den Finanzmärkten spekuliert, man einerseits Gewinne privatisieren kann, andererseits die Risiken für einen Komplettverlust gering sind. Dies führt dazu, dass die Investitionen im realen Sektor abnehmen und die Spekulation im Finanzsektor zunimmt.
philoro: Dennoch wird die Politik des billigen Geldes rigoros weitergeführt als gäbe es keine Alternative, obwohl es offensichtlich ist, dass Blasen auf den Finanzmärkten entstehen.
Schnabl: Mit dem kontinuierlichen Verfall der Zinsen, und das ist ja mittlerweile ein Trend, der sich seit Mitte der 80er Jahre fortsetzt, sind die Finanzmärkte stetig gewachsen. Sobald sie drohen zu implodieren, wird mehr Liquidität nachgeschossen. Das war schon unter dem Ex-Fed Präsidenten Greenspan so. Stichwort: “Jackson Hole Consensus“: Die Zentralbanken behaupten in Boom-Phasen auf den Finanzmärkten, dass sie spekulative Übertreibungen nicht erkennen können. Deshalb gibt es auch kein Mandat gegenzusteuern. Wenn die Preise auf den Finanzmärkten jedoch stark fallen, dann sieht man ein sehr klares Mandat, gegen diesen Preisverfall zu intervenieren. Das ist eine einseitige Geldpolitik, die wie ein Versicherungsmechanismus gegen Verluste bei Finanzmarktspekulation wirkt. Man muss sich fragen, warum sie so konsequent bei immensen negativen Nebeneffekten immer weiter betrieben wird.
philoro: Worin bestehen diese negativen Nebeneffekte?
Schnabl: Diese sind vielfach. Zum einen wird – wie Japan zeigt – der Bankensektor schleichend verstaatlicht, da die Banken von der Zufuhr von billigem Geld durch die Zentralbank abhängig werden. Die Banken führen dann bestehende Kredite an Unternehmen weiter, auch wenn die Projekte nicht mehr gewinnträchtig sind. Die Banken wollen dadurch vermeiden, dass ihre Schieflagen nach dem Platzen der Blase sichtbar werden. „ Zombie-Banken“ erhalten „Zombie-Unternehmen“ mit geringer Produktivität am Leben. Zudem werden immer mehr Kredite an Unternehmen durch Kredite an den hoch verschuldeten Staat ersetzt. Die Zombie-Banken finanzieren damit immer weniger neue innovative Investitionsprojekte.
Ein weiterer einschneidender Nebeneffekt ist die sogenannte finanzielle Repression: Sichere Sparformen wie Sparbücher, Bankeneinlagen oder Staatspapiere werden aufgrund der sehr expansiven Geldpolitik trotz steigenden Risikos nur noch sehr gering oder gar nicht verzinst. Das untergräbt insbesondere auch die Alterssicherung vieler Menschen. Renditen können nur noch die erwirtschaften, die auf Kursgewinne auf den Vermögensmärkten setzen. Dazu braucht man Mut und ausreichende Kenntnisse, die der durchschnittliche Haushalt aus der Mittelschicht oft nicht besitzt. Hier haben meist die Profis auf den Finanzmärkten die Nase vorn.
philoro: Was gäbe den Banken Ihrer Meinung nach denn einen Anreiz, wieder mehr Kredite an den Unternehmenssektor weiterzureichen?
Schnabl: Die logische Konsequenz ist eine Zinserhöhung. Das scheint eine ungewöhnliche wirtschaftspolitische Empfehlung, aber ich habe im Wesentlichen zwei Gründe für diese Forderung.
Der Zins hat eine Signalfunktion. Das heißt, er muss Risiken adäquat anzeigen. Jemand, der hohe Risiken hat, muss auch einen hohen Zins bezahlen. Diese Signalfunktion ist ausgesetzt, wenn die Zentralbanken die Zinsen gegen Null drücken. Damit fließt viel Kapital in risikoreiche, spekulative Projekte. Der Zins hat er auch eine Allokationsfunktion, da er „gute“ Investitionen von „schlechten“ trennt. Bei einem hohen Zinssatz würden Sie als Unternehmer nur Investitionen tätigen, die auch eine hohe erwartete Rendite haben. Wenn der Zins gedrückt wird, dann ist das ein Anreiz, Investitionen mit einer geringen erwarteten Rendite zu finanzieren. Eine gewünschte Wachstumsdynamik, die langfristig nur von Investition und Innovation ausgeht, wird nicht erreicht.
Wenn wir diesen Mechanismus jetzt umdrehen - also den Zins erhöhen - dann würden die Risiken wieder adäquat angezeigt. Es gäbe wieder einen Anreiz, weniger zu spekulieren und stattdessen Investitionen mit hohen erwarteten Renditen zu tätigen. Das traditionelle Geschäftsmodell der Banken, die Finanzierung von Investitionen, würde wieder hergestellt. Mit einer steigenden Produktivität könnten auch die Löhne für breite Bevölkerungsschichten wieder steigen.
philoro: Würde eine Anhebung der Zinsen nicht die Südländer wie Spanien, Italien und Griechenland unter einen enormen finanziellen Druck setzen?
Schnabl: Das ist die Krux an der derzeitigen Entwicklung. Der bereits erwähnte langfristige Zinstrend nach unten hat vielen Staaten den Anreiz gegeben, Verschuldung aufzubauen und Reformen zu vertagen. Sollte die EZB den Zinssatz nun wieder anheben, würden sich die Zinslasten für die öffentlichen Haushalte multiplizieren. Es käme zu erheblichen Turbulenzen auf den Märkten für Staatsanleihen. Die Schuldenstaaten müssten ihre Verschuldung restrukturieren, Ausgaben kürzen und längst fällige Reformen auf den Weg bringen. Mit den Reformen würden verkrustete Strukturen beseitigt und Platz für Neues gemacht.
Die Österreichische Schule der Nationalökonomie, deren prominentester Vertreter Friedrich August von Hayek ist, würde eine solche Kausalkette als notwendigen Reinigungsprozess des Wirtschaftskreislaufes bezeichnen. Kurzfristig müssten wir mit einer Krise fertig werden, langfristig gesehen würde jedoch eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft folgen. Das Gegenteil ist der Fall, wenn die EZB bei der Nullzinspolitik mit immer neuen Ankäufen von Staatspapieren und anderen Wertpapieren bleibt. Dann werden die strukturellen Verzerrungen zementiert und die Weltwirtschaft würde in eine nicht endende Stagnation gebracht. Wie in Japan ginge der Wohlstand schleichend verloren.
philoro: Sie haben mehrere Jahre in Japan gelebt und die dortige Entwicklung genauestens untersucht. Inwieweit ist das dortige Deflationsdilemma eine Projektion der Zukunft für die Euro-Zone?
Schnabl: Japan und das Euro-Gebiet sind zwei sehr unterschiedliche Wirtschaftsregionen und haben auch unterschiedliche Kulturen. Dennoch gibt es im Hinblick auf die derzeitige Entwicklung zwei wichtige Parallelen. Zunächst gingen beiden Krisen spekulative Übertreibungen auf Aktien- und Immobilienmärkten voraus, die durch „billiges Geld“ begünstigt wurden. In Japan bildete sich ab 1985 eine Spekulationsblase, die im Dezember 1989 platzte. In Europa setzte in vielen Ländern ab 2001/2002 die Spekulation ein. Auch hier wurde sie von billigem Geld der Zentralbank getragen, da die Europäische Zentralbank die Zinsen in Reaktion auf das Platzen der Dotcom-Blase (Jahr 2000) gesenkt hatte. Die Blase in vielen Ländern der Europäischen Union platze 2007/08.
In beiden Fällen wird nach wie vor versucht die Krise, die das Platzen der Blase auslöste, mit neuem billigem Geld zu therapieren. In der Entwicklung gibt es eine Sonderstellung für Deutschland. Die Übertreibungen der Jahre 2001 bis 2008 fanden vor allem in den Peripherie-Ländern der EU statt, weil in Deutschland strenge Sparpolitik verfolgt wurde. Nun ist es umgekehrt. Während die wirtschaftliche Entwicklung an der Peripherie Europas stagniert, entwickeln sich durch das billige Geld der EZB Übertreibungen auf den deutschen Aktien- und Immobilienmärkten. Die großen Einschnitte werden in Deutschland erst kommen, wenn hier die Blase platzt.
philoro: Aktuell wird in den Medien die Angst der Menschen vor einer Krise im Zuge einer Zinserhöhung geschürt. Wenn Sie von Turbulenzen an den Finanzmärkten sprechen, wie würden wir dies im Alltag zu spüren bekommen?
Schnabl: Das ist schwer zu prognostizieren. Eine Kettenreaktion auf den Finanzmärkten wird den Unternehmenssektor und den Arbeitsmarkt nicht unberührt lassen. Eine Krise wäre der Preis, wenn wir dem Zins seine Allokations- und Signalfunktion zurückgeben wollen, um das Wachstum langfristig wieder zu beleben. Es würde auch sichtbar, dass die zukünftige Alterssicherung längst unterhöhlt ist. Fakt ist, dass wir auf einem hohen Wohlstandsniveau starten würden und die Einschnitte in den großen Industrieländern deshalb für die Menschen einfacher zu verkraften wären als in vielen armen Ländern. Viele Menschen wären dazu gezwungen umzulernen, so wie es die Bürger der osteuropäischen Staaten nach dem Scheitern des planwirtschaftlichen Systems der Sowjetunion taten.
Vor allem der Finanzsektor, aber auch Staatsausgaben müssten grundlegend konsolidiert werden. Europa ist und bleibt jedoch ein Technologie-und Industriestandort mit hohem Bildungsniveau, weshalb ich optimistisch hinsichtlich einer raschen Erholung bin. Als beispielsweise der damalige Fed-Präsident Paul Volcker ab Ende der 70er Jahre den Zins auf bis zu 20% anhob, um die Hochinflationsphase der 1970er Jahre zu beenden, setzte zwar ebenfalls ein schmerzhafter Bereinigungsprozess ein. Die Rezession, die darauf folgte, war aber kurz und gefolgt von einem robusten Wirtschaftsaufschwung.
philoro: Es wird also zu mehr Verteilungskonflikten kommen, da wir nur ein geringes Wachstum haben und der Kuchen, den sich die Masse teilen muss, kleiner ist?
Schnabl: Genau hier liegt der politische Sprengstoff. Da wir mit der schleichenden Verstaatlichung des Finanzsektors in eine langanhalte Krise laufen, in der wir nicht wachsen, vermehren sich gezwungenermaßen die Verteilungskonflikte.
Die Geldpolitik treibt die Vermögenspreise nach oben, wovon insbesondere die sehr hohen Einkommensschichten profitieren, da diese einen Großteil von Aktien und Immobilien (und anderen Vermögenswerten) halten. Die Kosten dieses Prozesses werden in der Krise an den Rest der Bevölkerung weitergegeben. Weil durch die Rettungsaktionen für Banken die Staatsverschuldung steigt, müssen die Regierungen das Lohnniveau im öffentlichen Sektor drücken und die soziale Sicherung aushöhlen. Auch im privaten Sektor untergräbt die große Krise die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, so dass die Löhne breiter Bevölkerungsschichten stagnieren. Immer mehr Menschen werden in prekäre Beschäftigungsverhältnisse ohne Alterssicherung gedrängt. Diesen Prozess kann man unter den Begriffen Lohn- und Rentenrepression zusammenfassen. Diese ist neben der finanziellen Repression der wichtigste Kanal, über den die Kosten der Spekulationswellen auf die Bürger übertragen werden.
Auch wenn die meisten Menschen die Zusammenhänge zur Geldpolitik nicht verstehen, bildet sich eine schwelende Unzufriedenheit. Das ist nicht nur in den Peripherie-Ländern der EU so, sondern auch hierzulande spürbar. Beispielsweise in den neuen Bundesländern, wo das Lohn-Niveau nach wie vor deutlich niedriger als in den alten Bundesländern liegt. Die Angst vieler Menschen vor einem Abgleiten aus der Mittelschicht wächst. Sie äußert sich z.B. in Demonstrationen gegen Einwanderung oder Islam. Der Kern des Problems wird jedoch nicht erkannt und deshalb auch nicht angegangen. Die Politik begnügt sich mit dem Herumdoktern an den Symptomen, etwa mit Finanzmarktregulierung, Mietpreisbremsen, Mindestlöhnen etc. Dadurch wird viel Bürokratie geschaffen, ohne dass das Problem wirklich gelöst wird.
philoro: Welche Rolle könnte Ihrer Meinung nach Gold in einer modernen Wirtschafts- und Finanzwelt spielen?
Schnabl: Gold ist ein wichtiger Rohstoff und ein wichtiges Wertaufbewahrungsmittel. Eine theoretische Möglichkeit, die von der Geldpolitik ausgehenden Exzesse einzudämmen, wäre die erneute Bindung von internationalen Währungen wie dem Dollar und dem Euro an Gold. Davon sind wir aber derzeit insbesondere aus politischer Sicht weit entfernt.
Herr Professor Dr. Schnabl wir danken Ihnen für das Gespräch.
Durch das Interview führten Gero Grützner und Thomas Ströhla (philoro EDELMETALLE GmbH)
Über Prof. Dr. Gunther Schnabl:
Prof Dr. Gunther Schnabl promovierte und habilitierte an den Universitäten Tübingen, Tokio, Stanford und Leuven und arbeitete als Advisor bei der EZB. Seit dem Jahr 2006 hat er die Leitung des Institutes für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig inne, wo er auch als Professor für Volkswirtschaftslehre tätig ist. Die Schwerpunkte seiner Forschung umfassen die Wechselkurse, die Währungspolitik, die Finanzmärkte in aufstrebenden Volkswirtschaften sowie monetäre Überinvestitionstheorien und Krisen.
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Unternehmensinformation / Kurzprofil:
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Datum: 05.05.2015 - 15:29 Uhr
Sprache: Deutsch
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