Biathlon-Olympiasiegerin Antje Harvey: "Ich wollte nicht schummeln"
(ots) - Am 4. März beginnt im finnischen
Kontiolahti die diesjährige Biathlon-WM. Vor 20 Jahren, am 19.
Februar 1995, gab es den ersten WM-Titel für eine deutsche
Frauen-Staffel. Mit dabei: Antje Harvey, geborene Misersky, die heute
in den USA lebt. Im Sporthilfe-Interview blickt das Mitglied der
"Hall of Fame des deutschen Sports" auf dieses Ereignis und ihre
bewegte Laufbahn zurück: auf die Doping-Verweigerung und das erste
Karriereende, den Mauerfall und schließlich das Comeback mit
Olympiasieg.
Vor 20 Jahren gewannen Sie in Antholz zusammen mit Uschi Disl,
Simone Greiner-Petter-Memm und Petra Behle als erste deutsche
Frauenstaffel WM-Gold. Wie sind Ihre Erinnerungen daran?
Gering, und die Frage nach dieser WM überrascht mich. Hier in den
USA werde ich nur auf die Olympischen Spiele angesprochen. Ich habe
also fast vergessen, dass ich auch Weltmeisterin geworden bin. Aber
ich weiß noch, dass ich sehr aufgeregt war. In der Staffel ist die
Verantwortung größer, man läuft nicht für sich alleine.
Zehn Jahre zuvor waren Sie aufgrund Ihrer Weigerung, Dopingmittel
einzunehmen, aus dem DDR-Leistungssport geworfen worden, obwohl sie
mit 17 Jahren und WM-Bronze ein vielversprechendes Langlauf-Talent
waren. Damals eine schwere Entscheidung für Sie?
Das war für eine 17-Jährige natürlich eine schwere, aber zugleich
auch einfache Entscheidung: Ich wollte mit mir selber leben können,
wollte das Zeug nicht nehmen und meine Gesundheit in Gefahr bringen.
Und ich wollte nicht schummeln. Es war, wie wir hier sagen, ein
"no-brainer", eine Entscheidung, über die man nicht lange nachdenken
muss. Ich habe mit ihr sehr gut leben können, zumal ich jeden Tag
dankbar bin, gesunde Kinder zu haben.
Können Sie nach 30 Jahren vergessen und vergeben?
Ich bin heute an dem Punkt, wo ich den dafür Verantwortlichen
vergeben habe, aber vergessen kann ich nicht. Man vergisst keinen
Teil seines Lebens. Ich bin 2002 Christin geworden, da gehört das
Vergeben mit dazu. Ich hoffe, dass die Leute, die einem übel
mitgespielt haben, die in der Mühle drin waren, inzwischen genug Zeit
hatten, über ihre Aktionen nachzudenken. Dass sie das Beste aus ihrem
Leben machen, hoffentlich eine bessere Einstellung gefunden haben und
keine Möglichkeit bekommen, den Sport weiter zu verseuchen. In der
DDR wurden leider sehr viel Sportler ohne Wissen gedopt und haben
schwere gesundheitliche Konsequenzen zu tragen.
Das Thema Doping ist weiter aktuell und Biathlon immer wieder
betroffen. Verfolgen Sie solche Nachrichten mit besonderem Interesse,
wie denken Sie darüber?
Es ist traurig, dass die Dopingfahnder immer einen Schritt
hinterher sein werden. Ich finde es gut, dass Proben eingefroren
werden und Sportler im Nachhinein gefasst werden können. Leider kommt
der ehrliche Gewinner so um den Siegesmoment. Man kann nur hoffen,
dass bei den Menschen irgendwann die Moral siegen wird.
Sie leben heute in den USA, Ihr Mann ist ein früherer US-Biathlet.
Fühlen Sie sich dem Biathlonsport weiter verbunden, und was trauen
Sie den deutschen Frauen bei der anstehenden WM zu?
Mein Mann und ich sind richtige Fans und schauen im Internet die
Liveaufnahmen der Weltcup-Events an, zwar ohne Kommentar, aber
immerhin. Vorher tippen wir die Reihenfolge vom ersten bis zum
sechsten Platz. Oft haben wir die sechs gleichen Namen, halt in einer
etwas anderen Reihenfolge. Leider kriegen wir im US-Fernsehen gar
keine Infos, aber wir besorgen uns alles online. Die Deutschen haben
bei den Weltcups in dieser Saison bereits starke
Mannschaftsleistungen gezeigt. Bei den Männern wie den Frauen sehe
ich die Staffeln deshalb schon in einer Favoritenstellung. Die
anderen Nationen haben bei den Frauen meist nicht vier gleich starke
Biathletinnen. Ich denke, dass die deutschen Frauen in der Staffel
Gold holen. In den Einzelwettbewerben ist halt immer viel von der
Tagesform abhängig. Einen Überflieger wie Magdalena Neuner haben wir
zurzeit nicht, aber wir können ein Wörtchen mitreden, das glaube ich
schon.
In diesem Jahr feiern wir 25 Jahre Deutsche Einheit. Wie haben Sie
die Maueröffnung und die spätere Wiedervereinigung erlebt?
Ich habe unheimliches Glück, zur Generation zu gehören, die nicht
länger hinter der Mauer leben muss und heute Freiheit erleben darf.
Wäre die Mauer nicht gefallen, mein Leben wäre ganz anders verlaufen.
Dann hätte ich meinen Mann nie kennengelernt, oder besser, ich hätte
ihn vielleicht kennengelernt, aber ich hätte nicht mit ihm
kommunizieren dürfen. Der Mauerfall ist einer der wichtigsten Momente
in meinem Leben gewesen. Ich war damals als neue DDR-Biathletin auf
der Halbinsel Kola in Russland im Trainingslager. Als wir erfuhren,
dass die Mauer gefallen ist, das war unfassbar. Selbst angesichts der
ganzen Demonstrationen vorher, wo auch ich ein Teil davon war. Es war
unfassbar, gerade auch die Art, wie die Mauer fiel, in einem
friedlichen Prozess. Das hätte ich nie zu träumen gewagt.
1985 vom Spitzensport zwangsausgeschlossen, 2012 in die "Hall of
Fame des deutschen Sports" aufgenommen. Wie fühlt es an,
Sportgeschichte geschrieben zu haben?
In die Hall of Fame aufgenommen worden zu sein, war eine extreme
Ehre für mich und meine Familie, mein Vater ist ja gleichzeitig in
die Hall of Fame aufgenommen worden. Es war eine große Überraschung.
Und meine Kinder konnten bei der Aufnahmezeremonie in Berlin sehen,
dass ich in Deutschland eine bekannte Sportpersönlichkeit war.
Zur Person:
Antje Harvey, geb. Misersky (*10. Mai 1967 in Magdeburg) Die
Skilangläuferin und Biathletin Antje Harvey wurde 2012 als Beispiel
für ihre besondere Biografie im Kampf gegen Doping zusammen mit ihrem
Vater Henrich Misersky in die "Hall of Fame des deutschen Sports"
aufgenommen. Ihren größten Erfolg errang sie 1992 bei den Olympischen
Spielen in Albertville mit Gold im Einzel über 15 Kilometer. Zudem
holte sie drei olympische Silbermedaillen. Antje Harvey zeigte unter
ihrem Mädchennamen Misersky, wie man Weltspitze wird und Doping
widersteht: Wie ihr Vater und Trainer verweigerte sie sich den
Dopingplänen des DDR-Skilanglaufs, scheute die Konfrontation nicht
und war so als WM-Dritte mit der Staffel 1985 gezwungen, ihre noch
junge Karriere zu beenden. Erst 1989 setzte sie ihr Training unter
veränderten politischen Vorzeichen fort und konzentrierte sich auf
den für Frauen gerade olympisch gewordenen Biathlonsport. Ihre
Doping-Verweigerung und das von Olympia-Gold gekrönte Comeback sind
heute Sportgeschichte. Von der Deutschen Sporthilfe wurde sie
unmittelbar nach der Wiedervereinigung in die Förderung aufgenommen
und bis zu ihrem schwangerschaftsbedingten Karriereende im Jahr 1995
unterstützt. Heute lebt Antje Harvey mit ihrem Mann und zwei Töchtern
in Utah/USA.
Die Fragen stellte Oliver Kauer-Berk.
Abdruck honorarfrei. Quelle: Deutsche Sporthilfe
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Heike Schönharting
Otto Fleck-Schneise 8
60528 Frankfurt am Main
Tel: 069-67803 - 511
Fax: 069-67803 - 599
E-Mail: heike.schoenharting(at)sporthilfe.de
Internet: www.sporthilfe.de und www.hall-of-fame-sport.de
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Datum: 13.02.2015 - 11:00 Uhr
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