Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Sebastian Heinrich zu Kulturhauptstadt Pilsen
(ots) - Nach fünf Jahren Vorbereitung ist es soweit:
Pilsen präsentiert sich als europäische Kulturhauptstadt. Nie zuvor
hat eine Stadt diesen Titel getragen, die so nah an Ostbayern liegt.
Und das ist bei weitem nur der banalste Grund, warum die westlichste
Großstadt Tschechiens in den nächsten Monaten eine Reise wert ist.
Viel spannender macht den Besuch das Programm, das von Artistik bis
Puppenspiel die verschiedensten Kunstformen abbildet. Das die
Geschichte der Stadt verarbeitet - etwa mit dem Volksfest zum 70.
Jahrestag der Befreiung der Stadt durch die US Army - und in die
weite Welt blickt: wie mit einer Ausstellung außergewöhnlicher
Porträts von Maori, die der Pilsener Gottfried Lindauer um die
vorletzte Jahrhundertwende in Neuseeland porträtierte. Pilsen, seit
1993 Partnerstadt Regensburgs, ist in den kommenden Monaten eine
Reise wert, weil es zu einem bunten Schaufenster wird für unser
Nachbarland Tschechien. Ein Land, das viel zu viele Menschen in
Ostbayern noch immer vor allem wegen des günstigen Benzins,
allenfalls wegen des Biers schätzen - das aber einen bemerkenswerten
kulturellen Reichtum zu bieten hat. Ein Land, das sich trotz aller
Schwierigkeiten in den 25 Jahren nach dem Ende des kommunistischen
Regimes wieder stärker auf seine eindrucksvolle Geschichte besonnen
hat. Als Schaufenster für Tschechien ist Pilsen auch deshalb
geeignet, weil die Stadt fast immer ein Schmelztiegel der Kulturen
war: von deutschen Siedlern gegründet, lebten hier jahrhundertelang
deutsch- und tschechischsprachige Bewohner miteinander. Bis 1939
wohnten über 3000 Juden in Pilsen, die Synagoge ist bis heute die
zweitgrößte Europas. Die Stadt ist ein Denkmal dafür, wie bunt
Mitteleuropa schon vor 100 Jahren war - und ein Mahnmal dafür, wie
politische Kurzsichtigkeit, Nationalismus und Hass diese Vielfalt
dann zum Untergang brachten. Eine tragische Entwicklung, die in
Pilsen ähnlich beeindruckende Spuren hinterlassen hat wie in anderen
tschechischen Städten. Wen Pilsen fesselt, der darf auch auf Brünn,
Olmütz, Znaim und Budweis gespannt sein. In den Köpfen der
Entscheider in Ostbayern hat Tschechien längst einen wichtigen Platz.
Die wirtschaftlichen Bande zum Nachbarn werden immer stärker: Laut
der Bundesagentur für Arbeit arbeiteten 2014 über 30 000 tschechische
Beschäftigte in Deutschland - davon allein 2000 im ostbayerischen
Landkreis Cham. Tschechien ist der siebtwichtigste Handelspartner
Bayerns, ein wichtiger Exportmarkt und ein noch wichtigerer
Importpartner für den Freistaat. In der Politik ist das Verhältnis
zwischen München und Prag so entspannt wie nie: Im Dezember 2014 hat
eine ständige Vertretung Bayerns in Prag eröffnet. Die Wunden der
Geschichte - die Gräuel der deutschen Okkupation in Tschechien, die
Vetreibung der Sudetendeutschen - belasten die Gespräche immer
weniger. In den Köpfen und Herzen der meisten Ostbayern spielt
Tschechien noch immer eine Nebenrolle: Während für Tschechen
Deutschland das Reiseziel Nummer eins ist - und Deutsch nach wie vor
die zweitbeliebteste Fremdsprache - ist Tschechien für Bayern in der
Regel höchstens ein Tagesausflugsziel - und die tschechische Sprache
so exotisch wie Indonesisch. Pilsen 2015 bietet eine gute Chance,
daran etwas zu ändern. Wir sollten sie nutzen.
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Datum: 18.01.2015 - 20:24 Uhr
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