Weser-Kurier: Kommentar von Hendrik Werner zum "Unwort des Jahres"
(ots) - Sie skandieren "Volksverräter". Sie wettern gegen
"Überfremdung". Sie beschwören den "Untergang des Abendlandes". Sie
verunglimpfen Medien, die ihnen pauschal als "Lügenpresse" gelten.
Wenn Pegida-Anhänger auf die Straße gehen, marschieren in ihren
Reihen nicht nur im Geiste Kampfbegriffe mit, die ideologisch
belastet sind. Mal wandelt das Anti-Islam-Bündnis auf den
rhetorischen Spuren einer antidemokratischen Apokalyptik, wie sie der
Geschichtsphilosoph Oswald Spengler in der kulturpessimistischen
Schrift "Der Untergang des Abendlandes" (1918) vertreten hat. Mal
eignen sich die Demonstranten beredt die inhumanen Thesen einer
vermeintlich homogenen Volksgemeinschaft an, die sich gegen
angebliche "Schädlinge" wie Andersgläubige und eine pluralistische
Presse wehren zu müssen glaubt. Provokativ gestimmte Äußerungen wie
die genannten geben noch nicht zwingend darüber Auskunft, wes Geistes
Kind die gottlob gegenwärtig nur als Maulhelden auftretenden
Pegida-Schwadroneure sind. Schließlich verfremden sie bei sogenannten
Montagsdemonstrationen in Leipzig, Dresden und anderswo auch den
Wendezeit-Slogan "Wir sind das Volk". Es gehört seit jeher zu den
performativen Spielchen extremer Gruppierungen, alte Sprüche
umzudeuten, gegen den Strich zu bürsten, neu zu besetzen. Und doch:
Viel spricht dafür, dass der verbale Fundus, aus dem sich die
Bewegung bedient, zumindest strukturell ihre Weltanschauung
wiedergibt. Auf eine ähnliche Lesart der ebenso plakativen wie
populistischen Pegida-Parolen geht die gestern getroffene
Entscheidung einer sprachkritischen Jury zurück, "Lügenpresse" zum
"Unwort des Jahres" zu machen. Die Wahl fand zu einem denkbar
sinnigen Zeitpunkt statt: nämlich am Tag nach einer
Anti-Islam-Kundgebung, bei der bigotte Demonstranten in Dresden mit
Trauerflor der ermordeten Vertreter jenes Berufsstandes zu gedenken
vorgaben, den sie sonst als notorisch verlogen beleidigen. Die
Ausflaggung von "Lügenpresse" als "Unwort des Jahres" deckt auf, dass
die Pegida rhetorisch unter der Fahne erzkonservativer Kräfte in der
Weimarer Republik und menschenverachtender Selektionisten im
nationalsozialistischen Regime segelt. Ein Regime, das die Presse
bekanntlich gleichschaltete, um eine monologische "Wahrheit" gegen
Meinungsvielfalt zu setzen. Trefflicher, entlarvender und
aufrüttelnder ist seit langer Zeit keine Kür zum "Unwort des Jahres"
gewesen.
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Datum: 13.01.2015 - 20:09 Uhr
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