Verfassungsrechtler: Lebensmittelbuch-Kommission ist verfassungswidrig - foodwatch fordert Abschaffung des Geheimgremiums
(ots) - Keine Legitimation, keine Transparenz, keine
ausreichende Kontrolle: Nach Einschätzung des Staatsrechtlers Prof.
Dr. Stephan Rixen verstößt die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission
gegen das Grundgesetz. Das Gremium, das gängige Produktbezeichnungen
und -zusammensetzungen festlegt, habe "keinerlei demokratische
Legitimation", sagte er dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Ausgabe
51/15.12.2014). "Da liegt das Problem, denn die [von der Kommission
festgesetzten] Leitsätze wirken wie Gesetze, ohne offiziell Gesetze
zu sein." Das Bundesernährungsministerium habe "keine Kontrolle über
das Gremium", so Rixen weiter. "Ist es einmal berufen, sieht die
Geschäftsordnung weder effektive Einflussmöglichkeiten vor, noch
können Mitglieder der Kommission abgesetzt werden - selbst wenn sie
Parlamentsgesetze missachten." Die Verbraucherorganisation foodwatch
forderte die Abschaffung des Geheimgremiums.
In dem in Fachkreisen renommierten Deutschen Verwaltungsblatt
(Heft 15/2014) hatte Rixen, der an der Universität Bayreuth
Verfassungsrecht lehrt, bereits geschrieben: "Die Aufgabe, Leib und
Leben der Bürgerinnen und Bürger als Lebensmittelkonsumenten zu
schützen, darf unter dem Grundgesetz nicht länger an ein Gremium
delegiert werden, das ohne demokratische Legitimation darüber
mitentscheidet, ob fundamentale Grundrechte bei der Ernährung real
wirksame oder nur rhetorische Größen sind. Die bisherige Konstruktion
der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission ist verfassungsrechtlich
unhaltbar geworden."
Die Verbraucherorganisation foodwatch forderte
Bundesernährungsminister Christian Schmidt auf, das Gremium
abzuschaffen: "Die Kommission ist ein demokratisches Fehlkonstrukt.
Sie hat oft genug irreführende Produktbezeichnungen legitimiert und
aufgrund der Veto-Macht der Lebensmittelwirtschaft
verbraucherfreundliche Produktbezeichnungen verhindert", erklärte
foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. "Dieses Geheimgremium muss
endlich abgelöst werden durch ein demokratisches und transparentes
Verfahren, bei dem zum Beispiel das Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit Leitsätze erarbeitet und sich dabei an der
Erwartung der Verbraucher, nicht aber an den ökonomischen Interessen
der Hersteller orientiert."
Die geheim tagende Lebensmittelbuch-Kommission ist beim
Bundesernährungsministerium angesiedelt. Das Gremium erarbeitet
sogenannte Leitsätze zur Produktkennzeichnung und -zusammensetzung.
Diese sind zwar formal unverbindlich, doch weil sich Hersteller, die
amtliche Lebensmittelüberwachung und auch Gerichte permanent an ihnen
orientieren, erlangen sie normativen Charakter - das bedeutet, sie
sind im Effekt mit Gesetzen vergleichbar. Acht der 32 Mitglieder der
Kommission stammen aus der Lebensmittelwirtschaft. Die
Geschäftsordnung sieht vor, dass sie mit ihren acht Stimmen alle
Entscheidungen blockieren können. In der Vergangenheit mutete die
Lebensmittelbuch-Kommission den Verbrauchern zahlreiche irreführende
Produktbezeichnungen zu: Schokoladenpudding, der nur einen
Mini-Anteil Kakao enthält ist demnach ebenso Usus wie Kirschtee ohne
Kirschen oder Lachs-Imitat, das unter dem Namen "Alaska-Seelachs"
verkauft wird.
Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Stephan Rixen argumentiert im
Kern wie folgt: Der Schutz vor Gesundheitsgefahren und Irreführung
ist eine staatliche Aufgabe. Damit das Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit gewahrt wird, muss die Information über Lebensmittel
verlässlich sein. Die Arbeit der Lebensmittelbuch-Kommission ist wie
eine Rechtsetzung zu bewerten, da die von der Kommission erarbeiteten
Leitsätze vom Ministerium veröffentlicht werden und sich Gerichte wie
Hersteller darauf berufen. Wer aber an Rechtssetzung, noch dazu in
einem grundrechtsrelevanten Bereich, mitwirkt, muss hinreichend
demokratisch legitimiert sein - bei der Kommission ist dies aber
nicht der Fall: Weder gibt es konkrete Arbeitsaufträge des
Parlaments, noch kontrolliert das Ministerium die Kommissionsarbeit
effektiv. Hat es die Mitglieder des Gremiums einmal ernannt, gibt es
die Kontrolle ab - nicht einmal bei klaren Gesetzesverstößen kann es
Mitglieder abberufen.
LINK:
E-Mail-Aktion für die Abschaffung der Lebensmittelbuch-Kommission:
www.foodwatch.de/aktion-lebensmittelbuch
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN:
- "Staatlich legitimierte Verbrauchertäuschung": Mehr
Informationen zur Arbeit der Deutschen
Lebensmittelbuch-Kommission unter http://bit.ly/1iXJ9dn
- Interview mit Prof. Stephan Rixen: Der Spiegel, Ausgabe 51 vom
15.12.2014, S. 63 ("Das Ministerium hat keine Kontrolle")
- Aufsatz von Prof. Stephan Rixen im Deutschen Verwaltungsblatt,
Heft 15/2014, S. 949 ff. ("Legitimationsdefizite des
Lebensmittelrechts - Zur demokratischen Legitimation der
Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission")
Pressekontakt:
foodwatch e.V.
Martin Rücker
E-Mail: presse(at)foodwatch.de
Tel.: +49 (0)30 / 24 04 76 - 2 90
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Datum: 15.12.2014 - 11:01 Uhr
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