Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Heinz Gläser zu Fußball-WM
(ots) - Es herrscht eine seltsame Stimmung in diesem
Land. Sie schwankt zwischen gespannter Erwartung und allgemeiner
Skepsis. Und sie entspricht so gar nicht dem, was sich die Welt
(primär der Fußball-Weltverband Fifa) von der Kür des WM-Gastgebers
Brasilien erhofft hatte. Gewiss ist Fußball ein Thema, das im
Schwellenland alle Gesellschaftsschichten vereint und durchdringt.
Kein Ereignis hat in Brasilien die Wucht des Fußballs. Und diese
Wucht kann mit dem Eröffnungsspiel heute schnell in nationale
Euphorie umschlagen, die alle hässlichen Fragen nach den Kehrseiten
dieses gigantischen Turniers übertönt. Allein: Sicher ist das nicht.
Diese Weltmeisterschaft ist die kostspieligste der Geschichte. Die
Investitionen in Stadien, Flughäfen und weitere Infrastruktur
verschlangen rund acht Milliarden Euro, andere Quellen sprechen gar
von zwölf Milliarden. Viel Geld, das man auch ins Bildungswesen und
das Gesundheitssystem hätte stecken können. Brasiliens Präsidentin
Dilma Rousseff, die um ihre Wiederwahl im Oktober bangt, verspricht
ihren Landsleuten: "Wir haben das vor allem für die Brasilianer
getan." Die nehmen ihr diese hehren Worte offenbar nicht ab.
Friedliche Aktivisten, aber auch militante Gruppen planen eine
Mobilisierungskampagne nach dem Vorbild des Konföderationen-Pokals
2013, als Massendemonstrationen und Straßenschlachten die
WM-Generalprobe der Fifa überschatteten. Der Staat bringt daher 157
000 Polizisten und Soldaten in Stellung, dazu gesellen sich unzählige
private Sicherheitskräfte. Auch diese Maßnahmen verschlingen Hunderte
Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich nicht
abwegig, von der Perversion eines sportlichen Großereignisses zu
sprechen, das doch ursprünglich mal nur dem edlen Wettstreit der
Jugend der Welt dienen sollte. Aber dabei handelte es sich
bekanntlich immer schon um eine Mär. Die Fifa und ihr geschmeidiger
Chef Sepp Blatter stecken bis zum Hals in einem Korruptionsskandal,
dessen Folgen unabsehbar sind. Und der Weltverband wird die Geister
nicht mehr los, die er rief. Er hat aus Profitstreben seinen
Markenkern vernachlässigt und mit seinem Hochglanzprodukt
Grenzbereiche des Mach- und Beherrschbaren erreicht. Alle
lobenswerten sozialen Aktionen verblassen vor diesem Versagen, das
sich beispielsweise darin manifestiert, wenn Straßenhändler aus dem
Umkreis der Stadien verscheucht werden, um den finanzkräftigen
Fifa-Partnern Exklusivität zu garantieren. Zynisch ausgedrückt: Das
Kunststück, selbst den komplett fußballverrückten Brasilianern die
Lust am Nationalsport auszutreiben, beherrscht wohl auch nur Blatters
Herrenriege. Ihr Land werde die ausländischen Fans und Gäste "mit
offenen Armen" empfangen - so wie die berühmte Christus-Statue in Rio
de Janeiro, verspricht Rousseff vor dem WM-Start. Einstweilen jedoch
wird man den Eindruck nicht los, die Brasilianer selbst würden sich
lieber heute als morgen aus dem Klammergriff einer fremden
Organisation befreien, die im fernen Zürich residiert.
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Datum: 11.06.2014 - 21:12 Uhr
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